Ian Yery & der Hardcore Absolute Beginner
betete sich Mo immer und immer wieder vor – dennoch zitterte er vor Aufregung. Dieser Ton! Eine drohende Klage! Das war ein Angriff!
„Okay, kannst eine haben“, murmelte Stefan und latschte ohne Anklopfen in Mos Zimmer. Er pfriemelte in einem kleinen, zerdrückten Päckchen herum, fischte eine Zigarette heraus und schob sie direkt in Mos Mund. Dann zückte er sein edles Benzin-Feuerzeug, mit dem er nur zu gerne angab, entfachte die Flamme und hielt sie ans andere Ende des Glimmstängels, um diesen zu entzünden.
„Du musst ziehen“, erklärte Stefan amüsiert. „Sonst funktioniert das nicht.“ Mo sog Luft durch den Filter und bekam prompt einen Hustenanfall. Seine Augen begannen zu tränen und als er die Zigarette aus dem Mund nahm, sah Stefan, dass Mos Hände zitterten. Mit einem ruhigen, fast väterlichen Griff, nahm er dem Nichtraucher den Glimmstängel weg und schob ihn sich selbst zwischen die Lippen.
„Sag mal, was ist denn mir
dir
los?“, fragte er, warf den Kopf in den Nacken und blies den Qualm gegen die Decke.
„Nichts“, behauptete Mo.
„Das mit dem Rauchen lass mal lieber – das hilft
dagegen …
“, Stefan nickte zu Mos zittrigen Fingern, „… gar nicht. Da brauchst du eher Schnaps, oder Tranquilizer oder so was.“
„Sicher
nicht
“, fuhr Mo ihn an und setzte sich auf die verräterischen Hände.
„Was ist denn los? Bist du positiv, oder was?“, fragte Stefan, ohne beim Sprechen den Glimmstängel aus dem Mund zu nehmen.
„Positiv?“ Mo begriff nicht.
„HIV“, meinte Stefan gelassen und zuckte mit den Schultern.
Mos Kinnlade klappte runter. „Wie kommst du denn
darauf
?“
„Na kriegt ihr Homos das nicht alle früher oder später? Hast du nicht vor ein paar Wochen behauptet, hundertfünfzig Millionen Amerikaner gefickt zu haben?“
„Weißt du was, Stefan? Verschwinde einfach und töte ein paar Nazis“, fauchte Mo seinen Mitbewohner an und schüttelte fassungslos den Kopf.
„Apropos … du solltest das Spiel echt mal ausprobieren. Wäre doch total ironisch. Ian Yery spielt Ian Yery.“
„Raus!“, herrschte Mo Stefan an und zeigte zur Tür.
„Ist ja schon gut …
Zicke
!“, maulte Stefan und schlurfte aus Mos Zimmer. Wenige Sekunden später brach wieder das Kriegsgetöse los.
Mo wandte sich dem Laptop zu und las die E-Mail ein weiteres Mal. Erneut wallte diese Aufregung hoch. Ob die Leute recht hatten? Manche meinten, er sei ein Sensibelchen. Das war eine Fehleinschätzung, die allein seiner Größe zuzuschreiben war, befand Mo. Von einem über eins neunzig großen, trainierten Mann erwartete man eben nicht, dass er Gefühle hätte. Es war ja nicht so, dass Mo dauernd heulte oder dergleichen, er nahm sich nur manche Dinge etwas mehr zu Herzen, als andere das vielleicht getan hätten.
Vor einigen Jahren hatte er eine Phase durchgemacht, in der er sich emotional abhärten wollte und die Arschloch-Tour abzog. Auslöser für den Wunsch gefühllos zu werden war sein Ex-Freund gewesen, der ihn über die ganzen vier Jahre ihrer Beziehung nach Strich und Faden betrogen hatte. Mo war zu verliebt und blind gewesen, hatte es nicht bemerkt, obwohl ihn sein gesamtes Umfeld bereits mehrmals darauf aufmerksam gemacht hatte. Er hielt das für wüste Diffamierungen, verteidigte seinen Freund eisern und war letztendlich aus allen Wolken gefallen, als er ihn schließlich doch in flagranti erwischt hatte. Das auch noch an Mos Geburtstag und im gemeinsamen Bett. Zu allem Überfluss stellte sein Ex ihn danach auch noch als den Bösen hin, der gar nicht wisse, was wahre Liebe sei. Treue, so meinte der Arsch, sei ein patriarchaler, reaktionärer Besitzanspruch, habe mit Liebe nicht das Geringste zu tun und überhaupt wäre Mo nicht berechtigt ihm vorzuschreiben, in wen er seinen Schwanz stecke. So ging das in einer Tour. Er stellte Mo hin wie einen naiven, engstirnigen Volltrottel. Mo war daraufhin so verletzt, so unfassbar enttäuscht gewesen, dass er monatelang in Selbstmitleid gebadet hatte und schließlich den Entschluss fasste, sich von Emotionen zu heilen. Er dachte, wenn er sich wie ein Arschloch verhielt, könnte er ein ebensolches selbstzufriedenes und gefühlloses werden, wie so viele andere auch.
Es hatte nicht funktioniert. Sein Herz wollte diesem vernünftigen Vorsatz einfach nicht Folge leisten. Er fühlte sich bloß schäbig, einsam, verzweifelt – die große Erlösung, die er erwartet hatte, blieb aus. Zwei Jahre hatte er die Sache durchgezogen und sich
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