Ian Yery & der Hardcore Absolute Beginner
er es mit Beamten zu tun und das war soziales Armageddon. Es würde außerdem sicher nicht bei einem kurzen Gespräch bleiben. Vielleicht würden sie ihn öfter vorladen – Himmel, am Ende sogar vor seiner Wohnungstür stehen. Es würde ein Rattenschwanz an Unannehmlichkeiten folgen –
einmal
im System,
immer
im System. Außerdem: was, wenn sie ihm nicht glaubten, ihn auslachten? Mehr, als eine beleidigende E-Mail, hatte er nicht vorzuweisen.
„Nils, du kannst nicht mit einer Waffe herumlaufen“, schalt Jana und sah ihn an, als wäre
er
der Irre.
„Warum denn nicht? Das hab ich früher auch schon gemacht“, rechtfertigte sich Nils.
„
Wann
früher?“, fragte seine Schwester verwundert.
„Als die Sache mit dem Hund passiert ist“, erklärte Nils und fuhr dabei gedankenverloren über seinen rechten Unterarm.
„Da bist du mit einer Waffe herumgelaufen? Du machst mir Angst, Nils.“
„Da ist ja nur Pfeffermunition drin“, beruhigte er sie, „Du hast doch auch immer einen Pfefferspray bei dir.“ Jana schüttelte energisch den Kopf.
„Nicht mehr! Ich hab Berichte gesehen – für Laien ist das nicht geeignet. Wenn der Wind aus der falschen Richtung kommt, geht das nach hinten los, und für Innenräume ist das gar nichts. Kriminelle entreißen den Laien oft die Waffe, weil die mehr Routine damit haben“, brabbelte Jana drauflos.
„Soll ich mich etwa
umbringen
lassen?“, ätzte Nils und kämpfte seine Hysterie nieder. Dass ihm seine Schwester deswegen jetzt auch noch zusetzte, konnte er gerade gar nicht gebrauchen.
„Mach einen Selbstverteidigungskurs. So etwas könnte dir ohnehin nicht schaden, allein schon wegen deinem praktisch nicht vorhandenen Selbstvertrauen – aber davon rede ich eh schon seit Jahren“, schlug Jana wieder einmal vor. Nils schüttelte den Kopf.
„Ich geh da nicht hin“, maulte er. Menschen.
Fremde
Menschen. Sie würden ihm auch noch körperlich nahe kommen, und er müsste sie vielleicht sogar anfassen. Wie schon in der Schule, würde er sich bis aufs Blut blamieren. Er war nicht fit genug für den Kampfsport und würde nicht mithalten können. Er müsste erst ein Jahr für sich daheim trainieren, ehe er sich da hin wagte. Sicher waren dort lauter durchtrainierte Sportler, die nur darauf warteten ihn bloßzustellen und zu verspotten. Niemals! Kurse mied Nils rigoros. Seit der Schule und der damit einhergehenden umfassenden Erfahrung als Opfer brutaler und hinterhältiger Tyrannei durch seine Mitschüler, hatte er sich erfolgreich um alles gedrückt, was eine so destruktive Gruppendynamik auch nur ansatzweise heraufbeschwören könnte.
„Da gehen ganz gewöhnliche Leute hin. Bei meinem Kurs damals war sogar eine fünfundsiebzigjährige Oma dabei“, schien Jana die Gedanken ihres Bruders erraten zu haben. Kein Kunststück, denn über dieses Thema und dessen Für und Wider hatten sie schon oft diskutiert. Nils glaubte ihr nicht, hielt ihre Behauptungen für flache Beschwichtigungen, um ihn zu überreden. „Von wem wirst du außerdem bedroht?“, wollte Jana wissen.
„Einem Verrückten der behauptet,
er
hätte etwas erfunden, das
ich
geschaffen habe. Der ist total durchgedreht und meint, ich sei ein perverser Stalker. Einfach so, aus dem Nichts heraus.“
„Das versteh ich nicht“, murmelte Jana, „Warum sollte er
dir
unterstellen, ihn zu stalken …?“ Sie überlegte kurz, dann schien ihr ein passendes Szenario einzufallen. Sie riss die Augen auf und rief: „Ah, ich
verstehe
. Er glaubt, du kannst telepathisch in sein Gehirn eindringen, um ihm dann seine Ideen zu klauen. Paranoid. Vielleicht ein Schizophrener mit einem psychotischen Schub. Arme Menschen, die können nichts dafür. Da ist in ihrer Gehirnchemie …“
„Du hast wohl vor Kurzem wieder eine Doku darüber gesehen, was?“ Sie wurde von Nils rüde unterbrochen.
„Richtig! Na und? Deswegen ist es nicht automatisch unwahr!“, raunte Jana. „Wir könnten zusammen hingehen“, bot sie an.
„Wohin?“
„Na, in den Selbstverteidigungskurs. Ich könnte ohnehin wieder eine Auffrischung gebrauchen und dich außerdem beschützen, falls dich jemand schief anschaut.“
„Mach dich nur lustig über mich“, brummte Nils.
„Ich trau mich zu wetten, sobald du den Kurs hinter dich gebracht hast, findest du endlich einen Mann“, trällerte Jana und zwinkerte ihm zu.
„Sei still!“, warnte Nils.
„Wie alt bist du? Zweiunddreißig – und noch immer Jungfrau! Deine Jugend schwindet unberührt
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