Ian Yery & der Hardcore Absolute Beginner
dahin – du bringst dich um dein Glück.“
„Halt deinen Mund“, knurrte Nils.
„Und das alles nur wegen deinem beschissenen Selbstvertrauen. Du schaust gut aus, du bist klug und talentiert … Der Kurs würde dein Selbstbewusstsein stärken, und wer weiß, vielleicht wartet dort ja auch noch ein schnuckliger Kerl auf dich“, versuchte Jana ihn zu überzeugen.
„Ich will keinen …“, begann Nils.
„Sicher willst du! Belüg' dich doch nicht selbst. Ich mache dir einen Vorschlag: Du gehst mit mir
einmal
da hin. Nur ein
einziges
Mal. Wenn es dann immer noch
so
schrecklich ist wie du glaubst, lass ich dich für immer in Ruhe damit.“
Nils überlegte. „Für immer?“
„Für immer!“
Auch wenn die Vorstellung verlockend war, dass Jana ihn ab dann für alle Zukunft mit diesem blöden Selbstverteidigungskurs in Ruhe ließ, war das nicht das Hauptargument auf ihr Angebot einzugehen. Letztendlich überzeugte ihn die verwegene Idee, dass dort ja vielleicht
wirklich
ein schnuckliger Kerl war, von dem er dann wieder einige Jahre heimlich schwärmen konnte.
„Okay!“, brummte er betont widerwillig.
„Klasse!“, freute sich Jana, warf einen verächtlichen Blick auf die Pistole und forderte: „Und jetzt räum' dieses schreckliche Ding endlich weg.“
… mitgehört …
Ein paar Tage später belauschte Nils in der Agentur, während er eine Speisekarte für eine Pizzeria setzte, zufällig ein Gespräch unter Praktikanten. Eigentlich interessierte ihn das uninteressanten Gebrabbel seiner temporären Kollegen nicht, aber dann war ein Wort – besser gesagt ein Name – gefallen und fing Nils' volle Aufmerksamkeit:
Ian Yery
.
Das Spiel war ein Kassenschlager und der Name des Protagonisten in aller Munde, zumindest unter Gamern. Niemand in der Agentur wusste, dass Nils, dieser stille Typ, dessen Schreibtisch ganz hinten neben dem Papierlager stand, diesen weltbekannten Kriegshelden erschaffen hatte. Da es per Vertrag untersagt war, nebenbei für andere Auftraggeber zu arbeiten, verschwieg er sein Meisterwerk, obwohl es ihm die längst überfällige Anerkennung hätte bringen können. Er brauchte das Geld, das er in der Agentur verdiente, auch wenn es lächerlich wenig war. Vielleicht ergab sich durch Ian Yery eines Tages ja doch noch ein lukratives Angebot. Dann konnte er hier endlich allen erzählen, dass
er
der Schöpfer der berühmtesten Spielfigur dieses Jahres war. Sie würden bereuen, ihn all die Jahre unterschätzt zu haben, aber bis dahin änderte Nils noch brav und gehorsam die Preise auf scheußlich designten Speisekarten.
„Wenn ich es dir doch sage,
genau
so!“, tönte einer der Praktikanten aufgeregt.
„Glaub' ich nicht“, erwiderte der andere unbeeindruckt.
„Wirklich, ich schwöre, der Typ schaut exakt so aus. Einer im Forum hat voll rumgespamt, dass er den Doppelgänger gesehen hat. Ich hab's ihm nicht geglaubt und gedacht, der ist nur so ein blöder Troll. Aber gestern war ich dort, Mann, und der hat voll recht gehabt.“
„Ian Yery arbeitet in einem Copyshop? Ist es
das,
was du mir hier weismachen willst?“, fragte der andere zynisch und schüttelte belustigt den Kopf.
„Tausend Pro, Mann. Ich wette mit dir um fünfhundert Euro.“
„So viel hast du doch gar nicht.“
„Aber du!“
„Du bist dir wohl
sehr
sicher!“
„Tausend Pro, wie gesagt.“
Nils' Ohren glühten. Hatten sich die beiden tatsächlich gerade darüber unterhalten, dass sie Ian Yery live gesehen hatten? Hieß das etwa, der Mann, der sämtliche seiner erotischen Fantasien dirigierte, dieser rotblonde, große Kletterer, der ihm vor drei Jahren auf einem Festival den Kopf verdreht hatte, war irgendwo in dieser Stadt? Nils' Bauch kitzelte, seine Ohren glühten, das Herz raste und sein Schwanz drängte sich gegen den Hosenstall.
Jeder
normale
Mensch hätte die Praktikanten einfach gefragt, in welchem Laden der Doppelgänger, von dem sie gerade gesprochen hatten, arbeite. Nils nicht. Er wollte nicht aufdringlich sein, nicht als jemand ertappt werden, der fremde Gespräche belauschte. Sofort schoss ihm die Unterstellung des Verrückten durch den Kopf: Kranker Stalker. War er das vielleicht sogar
wirklich
? Immerhin belauschte er fremde Gespräche und hatte schon oft Männer, in die er verknallt gewesen war, verstohlen beobachtet. Nils hatte sie zwar nicht direkt verfolgt, allerdings durchaus dafür gesorgt ihnen öfter über den Weg zu rennen, als der Alltag es zufällig erlaubt hätte. Die Worte des
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