Ian Yery & der Hardcore Absolute Beginner
Bewegungstechnik zu konzentrieren, versuchte auszublenden, dass er die Übungen ausgerechnet mit Mo machte, spulte die Bewegungen ab, als läse er ein Lehrbuch. Es war fast so, als wäre er nicht persönlich anwesend, träumte das alles nur, klinkte sich irgendwie aus der Situation aus. Zugleich bereute er jedoch genau das. Er hätte die Berührungen lieber gespürt, hätte sich gerne mit Mo unterhalten, auf seine Versuche, mit ihm in Kontakt zu treten, reagiert. Hätte, hätte, hätte. Aber Nils konnte nicht aus seiner Haut. Ihm war bewusst, dass er es vermasselte und konnte es doch nicht ändern. Je netter Mo zu ihm war, je mehr er sich darum bemühte Nils zum Lachen zu bringen, dazu zu bringen etwas lockerer zu werden, umso verzweifelter wurde Nils. Das Gefühl, deswegen ein Versager zu sein, dominierte irgendwann alles, seine komplette Wahrnehmung. Es war die schlimmste Stunde seines Lebens.
Dennoch erklärte er Jana auf dem Heimweg mit glühenden Wangen, dass er nächste Woche wieder mitkommen würde. Sie hatte ihn schon gar nicht mehr fragen wollen, da sie davon ausgegangen war, dass Nils nach der ersten Einheit ohnehin dem Kurs fernbleiben würde.
„Es ist wegen diesem Moritz, oder?“, ärgerte sie ihn.
„Nein“, log Nils.
„Übrigens, Judith hat mir erzählt, dass er ihr Mitbewohner ist, und er ist schwul. Ist das nicht großartig?“
„Was?“, fragte Nils und stolperte über den Randstein.
„Und er ist Single“, erzählte Jana, „Ich hab ihr gesagt, dass du ebenfalls schwul und Single bist … sie meint, ihr würdet gut zusammenpassen.“
„Was? Du hast … ihr habt …“, stotterte Nils und wusste nicht, welche Gefühle ihn mehr überwältigten. Die Wut darüber, dass seine Schwester irgendwelchen Wildfremden alles Mögliche über ihn erzählte, oder die heimliche Euphorie, dass man ihn und Mo bereits als Paar sah. Letzteres entsprach seinen absoluten Lieblingsfantasien. Auch wenn Nils nicht die geringste Ahnung hatte, wie er es anstellen sollte, aber er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass es diesmal klappen würde.
Im Saftladen
… Erste Hilfe …
Nils saß an seinem Schreibtisch in der Agentur und löschte die mühsam erstellte Liste sämtlicher Copyshops in dieser Stadt. Er hatte seinen Ian Yery gefunden. Ob Moritz wusste, dass es eine Computerspielfigur gab, die ihm nachempfunden war? Damit konnte Nils vielleicht bei ihm punkten. Jetzt, wo er hier fern dieses Mannes saß, wusste Nils hunderte Themen, die er Moritz erzählen und tausend Dinge, die er ihn fragen wollte, aber er wusste nur zu gut wie es laufen würde, wenn er ihm im nächsten Kurs wieder begegnete. Ihm würde nichts mehr von alledem einfallen. Wüste im Kopf. Ob er sich ein paar Stichworte auf die Hand schreiben sollte?
„Nils, haben Sie Kapazitäten frei?“, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Der Chef stand vor ihm und schwenkte eine Aktenhülle.
„Immer“, meinte Nils übereifrig und erntete einen seltsam überraschten Blick. Nein, verkaufen konnte er sich wirklich nicht gut. Erst jetzt bemerkte Nils, dass seine Antwort mehr als nur ungeschickt gewesen war.
„Ich hab hier einen
'Erste Hilfe Auftrag'
“, erklärte der Chef und warf ihm die Aktenhülle zu, in der einige Ausdrucke und eine CD steckten.
'Erste Hilfe Aufträge'
nannte der Chef Sujets, die von irgendwelchen Laien im privaten Umfeld eines guten Kunden gesetzt worden waren, und die sich damit überfordert hatten. Meist handelte es sich dabei um reinen Service zur Bindung größerer Kunden – also Rettung ohne Bezahlung. Die Entwürfe waren in der Regel eine reine Katastrophe. Da sich alle anderen Kollegen für solche Aufträge zu schade waren, landeten sie meist bei Nils. Er machte sie gern, da sie eine willkommene Abwechslung zu den üblichen Speisekartenpreisänderungen waren. Er hoffte außerdem, an ihnen beweisen zu können, dass er mehr drauf hatte. Am Ende dieser Aufträge gab es zwar immer äußerst zufriedene Kunden, die für die kleinen Meisterwerke noch nicht einmal etwas zahlen mussten, den Chef aber interessierten diese Ergebnisse nicht. Für ihn war die Sache in dem Moment vom Tisch, sobald er sie Nils übergeben hatte, danach wollte er nichts mehr davon hören oder sehen.
Nils schaute die Unterlagen durch. Jemand hatte versucht, den Werbefolder für einen Kletterverein zu setzen und sich dabei gnadenlos verheddert. Die Grundidee des Sujets war noch nicht einmal schlecht – allerdings reichten die dafür benutzten
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