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iBoy

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Titel: iBoy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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in den alten Lagerhäusern und Fabriken rum und tun, was sie eben so tun – Drogen nehmen, Sex haben, Party machen, sich prügeln. Manchmal hört man auch, dass |112| ernstere Dinge passieren: Gang-Geschichten, Schusswechsel, Messerstechereien, Tote.
    Nein, es war wirklich nicht der schönste Ort der Welt und ich war auch nicht gern hier, doch ich lief weiter – mein iHirn eingeschaltet – bis zu der Stelle, wo der Signalempfang in meinem Kopf auf null ging. Dort blieb ich stehen.
    Kein Signal.
    Kein Empfang.
    Kein iBoy.
    Ich sah mich um. Hinter mir ragten ein paar alte Fabrikgebäude auf, hohe Betonbauten mit noch höher gemauerten Schornsteinen, sonst gab es zu beiden Seiten der Straße nichts als endlose Brache. Etwa dreißig Meter vor mir sah ich einen stillgelegten Komplex aus Industrieanlagen und Lagerhäusern.
    Ich versuchte, in meinem Kopf herumzutasten, ein Signal zu orten, ein Netz, irgendwas   … doch da war nichts.
    Mein iKopf war leer.
    Meine iHaut funktionierte nicht.
    Der Strom war weg.
    Ich ging den Weg zurück, den ich gekommen war, und nach ungefähr zehn Metern schaltete sich alles wieder ein.
    Ich blieb stehen und sah mich um. Es war niemand zu sehen. Kein Auto, kein Fahrrad, kein Garnichts. Ich verließ den Gehweg und überquerte die Brache bis zu einem versengten Stück Erde – den Resten eines alten Feuers. Ich bückte mich und zog ein paar verkohlte Blechdosen aus der Asche, dann ging ich weiter und stellte sie auf eine riesige Stahlbetonplatte, die in der Nähe herumlag.
    Ich blickte mich noch mal um, versicherte mich, dass ich immer noch allein war, und dann experimentierte ich – für die nächsten zehn Minuten oder so – mit meinen Elektroschock-Fähigkeiten. |113| Anfangs berührte ich einfach eine der Dosen, versetzte ihr einen Stromschlag und pfefferte sie voll von der Platte. Danach versuchte ich, die Energie zu kontrollieren – sie zu verstärken oder abzuschwächen, von den Dosen wegzugehen, um zu sehen, ob ich sie auch aus der Entfernung umwerfen konnte   …
    Bis ich aufhören musste, weil ein Auto langsam die Straße entlang auf mich zukam, hatte ich gelernt, dass ich die Energie tatsächlich kontrollieren konnte, auch wenn mein Maß an Kontrolle noch nicht besonders groß war, und dass die maximale Reichweite für einen Stromschlag aus der Entfernung bei höchstens einem Meter lag.
    Ich lief wieder über die Brache und erreichte den Gehweg gerade, als das Auto am Straßenrand hielt. Das vordere Seitenfenster ging runter, ein zwielichtig wirkender Typ beugte sich heraus und fragte: »Hey, du, ist das die Crow Lane?«
    Ich schüttelte den Kopf und zeigte in Richtung Siedlung. »Die ist dahinten.«
    Er schaute in die Richtung, in die ich zeigte, dann drehte er sich wieder zu mir um. »Und das Baldwin House?«
    »Das zweite Hochhaus an der Straße.«
    Er nickte, sagte aber nichts. Stattdessen kurbelte er das Fenster wieder hoch, wendete den Wagen und fuhr davon.
    »Gern geschehen«, murmelte ich, während ich ihm hinterhersah.
     
    Gram arbeitete, als ich nach Hause kam – haute
tap-tap-tap
in die Tasten   –, und nachdem wir uns begrüßt und sie aus Prinzip ein bisschen Theater gemacht hatte, weil ich länger weg gewesen war als versprochen, überließ ich sie wieder dem Schreiben und ging in mein Zimmer.
     
    |114| Ich wusste nicht, was ich anfangen sollte mit dem ganzen Zeug, das ich über O’Neil, Adebajo und so weiter rausgekriegt hatte – über den Angriff auf Lucy und Ben, die Gang-Angelegenheiten, die Alten, Howard Ellman   … Ich wusste ja nicht mal, wieso ich diese Infos überhaupt gewollt hatte. Doch als ich am Fenster saß und runterschaute auf diese Regentag-Einöde in der Siedlung, war mir auf einmal klar, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder konnte ich nichts tun, das Ganze vergessen und versuchen, einfach so weiterzuleben, oder ich konnte alles daransetzen, etwas zu unternehmen.
    Und vielleicht hätte ich ja, wenn ich noch ganz der Alte gewesen wäre – der durch und durch normale, nicht i-phonige Tom Harvey   –, vielleicht hätte ich dann akzeptiert, dass ich keine Chance hatte, etwas zu tun. Denn das Einzige, was der normale Tom Harvey hätte tun können, wäre gewesen, seine gesammelten Informationen an die Polizei weiterzugeben, und egal wie vorsichtig oder klug er das angestellt hätte, das Ergebnis wäre immer gleich gewesen: Nicht nur die Crows, sondern die ganze Crow Town hätte sich gegen Lucy und ihre Familie gestellt und ihnen

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