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iBoy

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Titel: iBoy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Streit |109| aus dem Ruder lief. Das Schreien und Fluchen wurde lauter, das Stoßen und Schubsen wurde hässlicher und dann sah ich, wie Nadia Leona an der Schulter packte und ihr das Handy ins Gesicht schlug. Danach war kein Halten mehr. Jayden packte Nadia und stieß sie gegen die Mauer, Nadia konterte und fuhr Jayden mit ihren Krallen durchs Gesicht   … und dann, als Jayden aufschrie vor Schmerz und mit der Faust auf Nadia einschlug, merkte ich plötzlich, dass Carl Patrick ein Messer in der Hand hatte. Ich sah, wie er sich auf Jayden stürzte und mit der einen Hand dessen Arm packte – danach stieß er den anderen Arm ein paarmal vor und zurück und Jayden stolperte nach hinten und fasste sich an den Bauch, bevor er in einer Pfütze auf die Knie fiel und langsam zu Boden sank   …
    Und das war’s.
    Plötzlich erstarrte alles.
    Carl Patrick und die beiden Mädchen machten nicht wirklich was, sie standen bloß irgendwie um Jayden herum, schauten auf ihn runter und guckten sich an   … ich sah sogar, wie Patrick die Schultern zuckte, als ob er sagen wollte:
Macht mich nicht dafür verantwortlich, er war selbst schuld   …
    Was natürlich nicht stimmte.
    Ich
war schuld.
    Ich wählte im Kopf den Notruf und rief anonym einen Krankenwagen, dann ging ich zurück, hinten herum auf die andere Seite vom Hauptgebäude, und marschierte durch den Hausmeistereingang wieder hinaus.
     
    Ich wusste, dass es nicht
wirklich
meine Schuld war. Vielleicht hatte ich das Ganze ja durch die SMS an Nadia unabsichtlich verursacht, aber mehr auch nicht.
Ich
hatte Jayden das Messer |110| nicht in den Bauch gerammt. Dafür konnte ich mir ja wohl keine Schuld geben   …
    Oder?
    Ich spielte die ganze Szene im Kopf noch mal ab, dann schickte ich das Video anonym auf DS Johnsons Handy, zusammen mit einer SMS, die Carl Patrick als den mit dem Messer entlarvte. Und danach, als ich zurück Richtung Crow Town lief, versuchte ich alles zu vergessen. Ich versuchte mir klarzumachen, dass es keine große Sache war, dass hier in der Gegend andauernd Menschen niedergestochen wurden   … dass man nichts dagegen tun kann, so läuft das eben   …
    Aber die Worte in meinem Kopf klangen ziemlich leer. Es waren Worte, die Davey gebrauchen würde:
So läuft das eben, das machen sie eben so
– Worte, die keine Bedeutung haben. Und vielleicht war das ja komischerweise gerade der Grund, wieso er sie gebrauchte. Bedeutungslose Worte für bedeutungslose Taten.
    Dann hörte ich auf, drüber nachzudenken.
    Lucy loggte sich bei MySpace ein.
     
    Während ich wartete, dass sie meine Nachricht (iBoys Nachricht) las, wählte ich im Kopf Grams Nummer. Als es klingelte, merkte ich plötzlich, dass es ein bisschen komisch aussehen musste, wenn ich herumlief und ohne Handy oder eines dieser Bluetooth-/Freisprech-Teile im Ohr mit Gram sprach, deshalb zog ich schnell mein Handy raus und hielt es ans Ohr.
    »Tommy?«, meldete sich Gram. »Wo steckst du? Du bist spät dran.«
    »Ja, tut mir leid, Gram«, sagte ich. »Ich bin Mr Smith in die Arme gelaufen, du weißt schon, meinem Englischlehrer   … Er hat gleich losgelegt und mir alles Mögliche erzählt, |111| da konnte ich nicht weg. Jetzt bin ich aber auf dem Weg nach Hause.«
    »Das hoffe ich. Wo bist du?«
    »Geh gerade an der Tankstelle vorbei. Fünf Minuten, dann bin ich da.«
    »Gut   … also, lass dich nicht aufhalten.«
    »Bis in fünf Minuten, Gram.«
     
    Lucy hatte auf meine MySpace-Nachricht geantwortet.
iBoy
, hatte sie geschrieben,
ich kann nicht mit dir reden. bitte schreib nicht noch mal.
    Dagegen ließ sich nicht viel sagen.
     
    Kurz bevor ich die Crow Town erreichte, machte ich noch einen kleinen Umweg die Mill Lane entlang, ein Nebensträßchen, das zu dem stillgelegten Teil des Industriegebiets führt. Es gibt dort nicht viel – verlassene Lagerhäuser und Fabriken, riesige leer stehende Gelände   –, doch es ist der einzige Ort hier in der Gegend, den ich kenne, wo man kein Funksignal aufs Handy kriegt, und ich wollte ausprobieren, was mit dem iKram in meinem Kopf passierte, wenn es keinen Handyempfang gab.
    Es ist nicht gerade schön in dieser Gegend. Alles wirkt irgendwie grau, leer und leblos und immer herrscht dort so eine merkwürdige dumpfe Stille   … ehrlich gesagt wirkt das Gelände, auch wenn es nicht richtig still ist, wie erstickt von kaltem, leerem Schweigen. Obwohl alles brach liegt, geht dort unten immer eine Menge ab, besonders nachts. Viele Jugendliche hängen

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