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Titel: iBoy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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ich wusste, es konnte mir nichts passieren. Mein Kraftfeld war eingeschaltet, und als die Messerklinge es streifte, flogen Funken. O’Neil schrie auf und ließ das Messer fallen. Ich schaute nach unten. Das Metall glühte, der Plastikgriff war zu einer |124| formlosen Masse geschmolzen. Ich sah wieder O’Neil an. Er schüttelte die Hand und blies sich, das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse verzogen, die Finger.
    Ich ging um ihn herum und postierte mich zwischen ihn und den Fahrstuhl, sodass er nur noch Richtung Treppe konnte. Ich schob mich auf ihn zu und zwang ihn, nach hinten zurückzuweichen.
    »Fuck, verdammt, was soll das?«, sagte er. »Verfluchte Scheiße, wer   –«
    »Halt die Klappe«, sagte ich. »Den Flur lang.«
    »Was?«
    Ich streckte die Hand in seine Richtung. Er fuhr nach hinten.
    »Beweg dich«, sagte ich. »Den Flur lang.«
    Er lief rückwärts und löste den ganzen Weg über nicht den Blick von mir. Am Ende des Flurs blieb er stehen.
    »Mach das Fenster auf«, sagte ich.
    »Wieso?«
    »Tu’s einfach.«
    Er drehte sich zu dem Fenster am Flurende um, entriegelte es und öffnete es dann so weit es ging – was nicht allzu weit war, denn sämtliche Fenster in den Hochhäusern haben eingebaute Sicherheitssperren, damit sich die Fenster nicht ganz öffnen lassen und niemand rausspringen oder andere rauswerfen kann.
    »Geh zur Seite«, sagte ich zu O’Neil.
    Als er zurücktrat, packte ich die beiden Sperren und jagte einen Stromstoß durch. Die Nieten platzten heraus und ich riss die Sperren weg. Als ich jetzt den Rahmen nach oben schob, ließ sich das Fenster ganz öffnen.
    »Scheiße, Mann«, hörte ich O’Neil flüstern. »Was hast du
vor

    |125| Ich packte ihn, bevor er weglaufen konnte, griff ihm mit einer Hand an den Hals und verpasste ihm einen Stromschlag, der so stark war, dass O’Neil aufhörte, sich zu wehren. Und auch aufhörte zu reden. Als ich seinen Kopf und danach seinen Oberkörper durch das offene Fenster zwängte, konnte er nur noch »Nanh   … nahgah   … nanh   …« sagen.
    Ich weiß nicht, wie weit ich gegangen wäre, wenn Lucy nicht plötzlich in der Tür aufgetaucht wäre und geschrien hätte, ich solle aufhören. Ich
glaube
nicht, dass ich O’Neil aus dem Fenster gestoßen hätte   … ich glaube nicht, dass ich das gekonnt hätte. Ich glaube, ich wollte ihn nur erschrecken. Aber ich werde es nie genau wissen. Denn als ich Lucys Stimme hörte – »Nein! Tu’s nicht!«   –, da war die Kälte und Brutalität meiner Wut vorbei   … plötzlich verlor sich alles und einen Moment lang wusste ich nicht, wer oder was ich war.
    Ich starrte den Flur entlang zu Lucy. Sie stand vor der Tür, hinter ihr im Eingang war Ben, und ich sah echte Sorge in ihren Augen – sie
wollte
wirklich nicht, dass ich O’Neil aus dem Fenster stieß   … und das verstand ich nicht. O’Neil hatte sie
vergewaltigt
. Er hatte ihr das absolut Schlimmste angetan, das man sich vorstellen kann. Wie konnte sie da
nicht
wollen, dass ich ihn tötete.
    »Aber du hast doch
gesagt
…«, hörte ich mich antworten.
    Sie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Was?«
    »Du hast gesagt, du willst ihnen wehtun, sie umbringen   … du willst, dass sie leiden   …«
    Sie schüttelte den Kopf, die Augen noch immer zusammengezogen, und ich war mir nicht sicher, ob das bedeutete, dass sie mich nicht gehört hatte, oder ob sie es zwar gehört, aber nicht verstanden hatte.
    Während all das ablief, muss ich wohl den Griff um O’Neil |126| gelockert haben, denn plötzlich merkte ich, dass ich ihn nicht mehr festhielt und er, an seinen Hals fassend, von mir fort Richtung Treppenhaustür taumelte.
    Ich verfolgte ihn nicht.
    Meine Wut war jetzt vorbei. Ich fühlte mich ausgelaugt, erschöpft, fast leblos, und ich fragte mich, ob ich mich übernommen, zu viel Energie verbraucht hatte. Einen Moment lang schloss ich die Augen und holte ein paarmal tief Luft. Ich hörte O’Neil die Treppe runterrennen. Als ich die Augen wieder aufmachte und in Lucys Richtung sah, stand sie immer noch da   … und als sich unsere Blicke trafen und wir uns über den Flur hinweg anschauten, sah ich das Aufblitzen einer Erkenntnis in ihren Augen. Ihr war eingefallen, woher diese Worte stammten:
Du hast gesagt, du willst ihnen wehtun, sie umbringen   … du willst, dass sie leiden
… Sie hatte gemerkt, dass es die Worte aus ihrem Blog waren. Und wer war die einzige Person, die ihren Blog gelesen hatte?
    Ich sah,

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