iBoy
und nutzte die Gelegenheit, um mich kurz auf die Bettkante zu setzen und meine Energien wieder aufzuladen, bevor ich zu Lucy zurückging.
Wie ich so dasaß, im Kopf noch mal durchging, was mit O’Neil und den andern geschehen war, und überlegte, ob ich damit etwas verbessert oder eher verschlimmert hatte, spürte ich plötzlich, dass sich Lucy in ihre MySpace-Seite einloggte, und kurz darauf war eine Nachricht von ihr in meinem Posteingang.
iBoy
, lautete sie,
warst du das gerade?
Ich mailte zurück:
war das WER gerade?
ich weiß, du WARST es
, antwortete sie.
wer BIST du?
ich bin, wer immer ich für dich sein soll.
Sie loggte sich aus.
Mein Kopf brummte zu sehr, um mich jetzt ausruhen zu können. Ich stand auf, nahm meine Jacke und fuhr wieder hoch in den dreißigsten Stock.
Nutte, Schlampe, Hure
… Ich wusste, dass es nur Worte waren und dass Worte – angeblich – niemanden verletzen können, doch als ich vor Lucys Wohnung stand und die hässlichen Worte anstarrte, die so primitiv auf die Wand und die Tür gesprayt waren, wusste ich, dass sie sehr wohl verletzten.
Ich streckte die Hand mit der Innenseite voraus Richtung |131| Wand aus … dann schloss ich die Augen und konzentrierte mich. Kurz darauf spürte ich eine Energie zwischen der Wand und meiner Hand … einen deutlichen Widerstand, wie ein Magnetfeld. Und als ich die Augen wieder öffnete, die Hand über die gesprayten Wörter bewegte und das Energiefeld behutsam in die Farbe drückte, lösten sich die Graffiti ab.
Es dauerte nicht lange, und als ich fertig war und alle Graffitispuren beseitigt hatte, benutzte ich die gleiche reinigende Energie, um auch die Farbreste von meinen Händen zu entfernen. Danach klopfte ich an Lucys Tür.
Ihre Mum war nicht da – sie arbeitete im Supermarkt um die Ecke. Ben war auch weggegangen, deshalb war Lucy allein. Was ich für keine gute Idee hielt, besonders nachdem sie gerade Besuch von einem halben Dutzend Crows gehabt hatte. Doch was Lucy anging, durfte ich davon natürlich nichts wissen, also hielt ich den Mund und machte mir nur im Kopf eine Notiz, mit Ben bei Gelegenheit ein ernstes – und vermutlich drohendes – Gespräch zu führen.
»Du
glaubst
nicht, was eben passiert ist, Tom«, sagte Lucy, als wir uns im Wohnzimmer zusammen aufs Sofa setzten.
»Hast du im Lotto gewonnen?«, fragte ich.
»Nein, nein … gerade eben, vor ungefähr einer halben Stunde …« Sie schüttelte den Kopf. »Gott, das war so unheimlich, ich kann’s immer noch nicht richtig glauben.«
Sie fing an, mir von O’Neil und den andern zu erzählen – wie sie echt Angst gehabt hatte, als sie merkte, dass die Typen da draußen standen, wie sie durch den Briefschlitz gerufen hatten … wie sie dann eine andere Stimme gehört hatte und gleich darauf Kampflaute – Gebrüll und Geschrei, rennende Schritte – und wie sie schließlich durch den Briefschlitz gespäht |132| und diesen
echt
unheimlich aussehenden Jungen mit seiner in allen Farben leuchtenden Haut gesehen hatte, der O’Neil außer Gefecht setzte …
»Weißt du, seine Haut hat richtig geflimmert, Tom. Ehrlich. Es war, als ob er komplett von Neon-Tattoos oder so was überzogen gewesen wäre, und diese Muster haben sich auch noch bewegt … aber es waren keine Tattoos.«
Es war unglaublich merkwürdig, ihr zuzuhören, wie sie mir die Geschichte erzählte. Zum Teil, weil ich so tun musste, als ob alles neu für mich wäre, und deshalb immer wieder ein überraschtes
Was? Nein … wirklich?
einstreute; zum Teil aber auch, weil Lucy derart aus dem Häuschen war, so voller Leben, ganz wie die alte Lucy, und weil ich nicht recht wusste, was das bei mir auslöste. Einerseits fand ich es natürlich großartig. Ich meine, Lucy schien wieder zu ihrem alten Ich zurückzufinden – was sollte daran verkehrt sein? Aber andererseits … also, es war natürlich nichts
verkehrt
daran. Überhaupt nicht. Doch ich glaube, wenn ich ehrlich bin, war ich ein ganz kleines bisschen eifersüchtig. Sie war so aufgeregt, so begeistert, so brennend interessiert an dem mysteriösen Fremden, der ganz und gar unerwartet als galoppierender Ritter zu ihrer Rettung herbeigeeilt war … mir lag fast auf der Zunge, ihr zu sagen, dass ich es war. Ich wollte, dass sie wegen
mir
aufgeregt war, nicht wegen iBoy. Und ich weiß, es klingt armselig – und egoistisch und kindisch und wie man es sonst noch nennen könnte –, aber ich
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