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iBoy

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Titel: iBoy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Radiosignale, Handysignale   … WLAN, Mikrowellen, VHF, UHF   … elektromagnetische Wellen.
    Sie waren überall.
    Und obwohl ich sie nicht sehen konnte, konnte ich sie
spüren
. Ich konnte mich mit ihnen in Verbindung setzen. Ich
kannte
sie.
    Ich schloss die Augen und klinkte mich wahllos in irgendein Handygespräch ein   …
gleich hinter dem Postamt in der High Street
, sagte jemand.
Du gehst am Postamt vorbei, dann kommt ein Pub und gleich da ist es.
    Welcher Pub?
, fragte jemand anderes.
Das George?
    Nein, das ist auf der andern Straßenseite   …
    Dann in irgendein willkürliches anderes Gespräch:
Wieso
|143|
nicht? Du hast doch gesagt, es wär in Ordnung, wenn ich’s nicht wieder tue.
    Ja, ich weiß, aber du hast   …
    Und in noch eins:
… mach den Arsch fertig. Das kann dieser Wichser doch nicht machen, ich schlag dem Scheißkerl die Fresse ein   …
    Jemand schickte von irgendwoher eine E-Mail an eine Frau namens Sheila und erklärte ihr, sie müsse sich entscheiden, sonst werde sie ihr Baby nie wiedersehen. Jemand mailte von einer angeblich nicht zu ortenden E-Mail -Adresse an jemand andern in Coventry   … ich konnte sie natürlich trotzdem orten:
die bio ist simpel
, lautete die Mail,
jeder kann so eine flasche mit erregern füllen, sie in die wasserversorgung kippen und damit 100   000 töten. der märtyrer würde sich opfern und keine spur einer dsch-verbindung hinterlassen.
    Und jemand anderes schrieb eine echt abstoßende SMS an ein Mädchen namens Andrea, in der er ihr lauter widerliche Dinge sagte   …
    Und im Netz   … Gott, es gab eine ganze
Welt
im Netz. Eine Welt aus so viel Verschiedenem   – Gutem, Schlechtem, Langweiligem, Verrücktem   –, es war genauso wie in der wirklichen Welt. Genauso wunderbar. Genauso schön   … aber auch genauso widerlich und krank und herzzerreißend.
    Ich klinkte mich aus.
    Es lief zu viel da draußen, zu viel Schlimmes, und ich wusste nicht, wie ich mit all dem fertig werden sollte. All dem, was ich wusste, aber nicht wissen
wollte
… all dem, was nicht gut war, nicht richtig, nicht fair. Ich
wusste
es. Und ich wusste, dass ich etwas dagegen tun konnte   … zumindest gegen manches davon. Ich meine, ich konnte zum Beispiel herausfinden, wer diese abstoßende SMS an Andrea geschickt hatte und |144| wieso und wo dieser Typ wohnte. Ich konnte zu ihm hingehen und ihm klarmachen, dass es echt beschissen war, solche widerlichen SMS zu verschicken. Aber was war mit den Millionen andern üblen Dingen, denen, die unendlich viel schlimmer sind als irgendwelche SMS – den Vergewaltigungen, dem Missbrauch, der brutalen Gewalt   –, den Dingen, gegen die ich nichts tun könnte, weil ich zu sehr damit beschäftigt wäre, Andrea zu helfen. Was tat ich zum Beispiel gegen Terroranschläge, bei denen mit biologischen Waffen 100   000   Menschen getötet werden   …?
    Was sollte ich gegen
sie
tun?
    Ich konnte doch nicht
alles
machen, oder?
    Ich war nicht Gott.
    Ich war nur ein Junge   …
    Und abgesehen davon
, sagte ich mir,
versuchst du immerhin, gegen ein
paar
schlimme Dinge
etwas
zu tun – gegen das, was Lucy passiert ist   … und das ist verdammt viel mehr, als Gott tut. Ich meine, Gott ist doch alles scheißegal. Der sitzt einfach bloß da, sonnt sich in seinen Superkräften und will dafür auch noch angebetet werden   …
    Es war jetzt 22:42:44   Uhr und die Nacht wurde kälter. Ich zog die Kapuze hoch und schaltete meine iHaut an, um mich mit der elektrischen Hitze aufzuwärmen   … und als ich über die Dachkante hinabblickte, überlegte ich, wie ich wohl von unten aussah – eine matt glühende Gestalt, die mit verschränkten Beinen auf dem Dach von einem Hochhaus sitzt   …
    Wie eine Art komischer Buddha mit Kapuze   …
    Wie ein dünner, im Dunkel glühender Buddha.
    Oder vielleicht wie so ein grotesker Wasserspeier – ein iGargoyle.
    Ich schloss wieder die Augen und öffnete meine MySpace-Seite. |145| Es waren zwei Nachrichten von aGirl gekommen: eine alte, die lautete:
bist du weg?
, und eine etwas längere von vor fünf Minuten. Die längere lautete:
     
    tut mir leid, wenn ich zu viele fragen gestellt hab und dich vertrieben hab oder so, aber ich war einfach neugierig. schließlich musst du zugeben, dass du ungewöhnlich bist! ist schon okay, ich meine, du musst mir nichts sagen und ich frag auch nicht weiter, wenn dir das lieber ist. aber bitte geh nicht weg. wir können doch auch einfach so

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