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iBoy

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Titel: iBoy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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ich hier oben war – ganz allein, die Kapuze über dem Kopf und mit leuchtender iHaut   … eine matt glühende Gestalt, die mit verschränkten Beinen dreißig Stockwerke hoch auf einem kalten Steindach saß   …
    Wie eine Art komischer Buddha mit Kapuze   …
    Wie ein dünner, im Dunkel glühender Buddha. Oder vielleicht ein iGargoyle.
    »Tom?«, sagte Lucy.
    Ich drehte mich zu ihr um.
    »Danke«, sagte sie leise und sah mich an. »Das war ein wirklich wundervoller Abend. Ich werde ihn nie vergessen.« Sie trat näher an mich heran, legte ihre Hand auf mein Gesicht und küsste mich sanft auf die Lippen.
    Gott, es war so ein wunderbares Gefühl.
    So perfekt, so
richtig

    Es war so wunderbar, dass ich fast vom Dach gefallen wäre.
    »Okay?«, flüsterte sie.
    Ich konnte nicht sprechen. Ich konnte noch nicht einmal lächeln. Alles, was ich noch konnte, war atmen. Lucy führte ihre Hand zu meinem Kopf und streichelte vorsichtig mit den Fingerspitzen die Narbe.
    »Fühlt sich warm an«, sagte sie leise.
    »Warm   …«, murmelte ich.
    Sie lächelte mich an. »Komm, wir gehen besser   … bevor du noch anfängst zu sabbern.«
     
    Sie hielt meine Hand, als wir übers Dach zur Luke zurückgingen. Ich half ihr die Leiter hinunter, dann hielten wir uns wieder an den Händen, während wir durch die Türen gingen, |236| die Treppe hinunter und schließlich den Flur entlang bis zu ihrer Wohnung.
    »Danke noch mal, Tom«, sagte sie. »Das war wirklich schön.«
    »Ich danke
dir
«, antwortete ich.
    Sie lächelte und küsste mich auf die Wange. »Kommst du morgen vorbei?«
    Ich nickte. »Wenn das für dich okay ist.«
    »Das ist absolut okay für mich.«
    »Gut.«
    Sie lächelte wieder und öffnete die Tür. »Dann bis morgen.«
    »Ja.«
    Ich wartete, dass sie die Tür schloss, und dann stand ich noch eine Weile da und lächelte das größte, schwebendste, dümmste Lächeln der Welt   … und danach, während ich einen Zug reiner Genugtuung einatmete, drehte ich mich um und lief zurück aufs Dach, um die Picknicksachen wegzuräumen.
    Gerade als ich das Treppenhaus erreichte, hörte ich, wie die Tür von Lucys Wohnung wieder aufging.
    »Tom?«
    Ich drehte mich um und sah, wie sie sich aus der Tür beugte. »Pass auf dich auf«, sagte sie.
    Ich lächelte sie an. »Ich pass immer auf mich auf.«
    Sie sah mich lange nachdenklich an und runzelte dabei ein wenig die Stirn, dann nickte sie und ging zurück in die Wohnung.

|237| 10101
    Mein Name ist Legion, denn wir sind viele.
     
    Neues Testament, Markus 5, 9
     
    Nachdem ich die Picknicksachen vom Dach geräumt und alles zurück in die Wohnung geschleppt hatte – und nachdem mich Gram praktisch
gezwungen
hatte, ihr zu erzählen, wie es mit Lucy gelaufen war   –, ging ich in mein Zimmer, legte mich in die Dunkelheit und versuchte, an nichts zu denken. Ich wollte absolut nicht
denken
, wollte einfach nur fühlen, mich meinen Empfindungen hingeben   … und nichts weiter. Ich wollte nur daliegen mit Lucy.
    Mit der Erinnerung an ihre Sonnenuntergangs-Augen.
    Ihre Lippen.
    Ihr Lächeln.
    Ihr Gesicht.
    Ihren Kuss   …
    Es war alles, was ich mir je gewünscht hatte. Alles, was ich brauchte.
    Das wusste ich jetzt.
    Nichts anderes war wichtig. Rache, Strafe, Vergeltung   … nichts war wichtig. Meine iKräfte, meine Fähigkeiten, mein
Wissen
… nichts davon war
ich
. Das war iBoy. Und ich war |238| nicht iBoy – ich war Tom Harvey, ein durch und durch normaler sechzehnjähriger Junge ohne große Probleme, ohne Geheimnisse, ohne Angstzustände   … ohne etwas, das sich über mich erzählen ließ. Einfach ein Junge, sonst nichts. Mit Hoffnungen und Träumen   …
    Und einem Mädchen, an das ich denken konnte   …
    iBoy konnte nicht träumen.
    Und er konnte keinen Traum wahr werden lassen.
    Aber Tom Harvey.
    iBoy musste weg.
    Es war die einzige Möglichkeit, um wieder Tom Harvey zu sein, und ich musste Tom Harvey sein, um mit Lucy zusammen zu sein. Das war mein Traum und ich brauchte ihn mehr als alles andere.
    Morgen, entschied ich.
    Morgen würde ich es tun.
    Gleich morgens als Erstes würde ich Gram alles erzählen – was mit mir passiert war, wozu ich fähig war, was ich getan hatte, was ich wusste – und danach würde ich es – mit Grams Hilfe – allen andern erzählen, die es wissen mussten. Der Polizei, Mr Kirby, Lucy   …
    Es würde natürlich nicht einfach werden. Die Polizei würde mich wegen der ganzen Dinge, die ich gemacht hatte, verhören wollen,

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