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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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mich erlöst fühlten konnte. Aber nicht hier und nicht jetzt.
    Birte nahm mich nicht in den Arm, sondern legte nur beruhigend ihre Hand auf meine. Die aufkommenden Emotionen hielt sie bewusst flach. Sie wollte sie nicht noch durch zusätzliche Berührungen anstacheln.
    »Ich weiß.« Still gab sie mir ein sauberes Taschentuch, das sie immer aus einer ihrer tiefen Frauentaschen kramte und das ich nie dabei hatte.
    Die fünf Minuten Galgenfrist bis zum anstehenden Arzttermin waren vorbei.
    Die wenigen Fußschritte vom Blankeneser Marktplatz in die Praxis meines Hausarztes gingen wir Hand in Hand. Schnell, ohne zu sprechen.
     
    Nachdem wir uns angemeldet hatten, empfing uns das leere Wartezimmer mit klassischer Musik. Wie passend. Entspannen konnte ich mich trotzdem nicht und starrte auf den Boden. Die Gedanken krabbelten wie kleine Ameisen schon wieder durch den kleinsten Spalt ins Bewusstsein. Sie liefen hektisch hin und her und durcheinander.
    Das Verständnis für meinen eigenen Körper hatte ich seit langem verloren. Ich verstand mich nicht mehr, auch nicht die tiefe Traurigkeit, die ich sinnloserweise empfand. Es gab keinen triftigen Grund dafür. Keiner war gestorben, kaum einer war krank, nichts Schlimmes war passiert. Und nun genügte schon eine kleine emotionale Regung, ein leichtes Anpusten oder eine sentimentale Geste und der Weltschmerz überkam mich. Mein Gemüt glich dem eines zarten Seelchens.
    Birte saß mir im Wartezimmer gegenüber und blätterte abwesend in einer Frauenzeitung. Die zum hundertsten Mal wieder aufgewärmte Frühlingsmode interessierte sie generell so wenig wie die offenbarte Liebesaffäre einer alten Popdiva mit ihrem bubenhaften Fitnesstrainer. Aber die bunten bedeutungslosen Bilder schienen sie aufzuheitern. Sie lenkte mich und sich ab, indem sie die Seiten kurz zusammenfasste und mir als Schlagzeile zuschmiss. »Drogensüchtige Schauspielerin kommt in den Knast. Aufgespritzte Lippen einer Medienerbin gleichen geplatztem Sofakissen.« Hier eine Affäre, dort ein Seitensprung. Und tatsächlich war ein C-Promi gestorben, dessen Namen ich nach dem Vorlesen bereits wieder vergessen hatte. Darüber verlor ich keine Träne.
     
    Die Tür zum Wartezimmer öffnete sich. Eine gepflegte Arzthelferin nannte meinen Namen. »Herr Schmitz, kommen Sie bitte.«
    Nicht nur ich stand auf, auch Birte ließ ebenso abrupt ihr buntes Frauenblättchen auf einen der Tische fallen und folgte mir wie selbstverständlich ins Behandlungszimmer.
    Mein Hausarzt empfing uns lächelnd. Ein netter Mann, den ich irgendwann in der Vergangenheit als Arzt ausgewählt hatte, weil ich ein Rezept brauchte. Jeder brauchte irgendwann mal einen Mediziner – weil die Nase lief, die Lunge pfiff, der Magen sauer brannte oder irgendeine Impfung aufzufrischen war. Ich brauchte damals ein bedrucktes Blatt Papier, mit dem ich zur Apotheke gehen konnte. Mehr nicht. Ich war nie krank, zumindest nie so, dass ich im Bett liegenbleiben musste.
    Birte bekam von meinem freundlichen Arzt einen Stuhl angeboten. Aus einer Ecke des Zimmers holte er einen weiteren hervor und stellte ihn mir höflich hin. Nach dem Stühlerücken legte sich eine Stille über den Raum.
    Er begann unerwartet offen: »Ich erlebe es sehr selten, dass der Partner mit ins Behandlungszimmer kommt. Was kann ich für Sie beide tun?« Er schaute in die kleine Runde.
    Der Kloß in meinem Hals schwoll an. Ich schluckte stark und bekam ihn trotzdem nicht runter. Birte sagte nichts, sondern schaute mich an. Die Hitze in meinen Augen nahm zu. »Ich kann seit langer Zeit nicht mehr schlafen. Mein Herz rast ständig, ich fühle mich manchmal schwindlig und habe Schweißausbrüche.« Ich unterdrückte meinen mittlerweile ständigen Kontrollzwang unter meine Achseln zu fassen. Stattdessen zog ich mein Sakko aus. Ich schwitzte schon wieder unnatürlich stark.
    Ich dachte daran, wie lächerlich diese gesamte Situation wirken musste. Mein Arzt hatte sicherlich schwerkranke Patienten zu behandeln. Bei ihm suchten Menschen mit gebrochenen Knochen oder wuchernden Metastasen Hilfe. Und ich winselte ihm von meinen undefinierbaren Beschwerden vor. Ich fühlte mich plötzlich völlig fehl am Platz und wollte nur noch aufstehen und gehen. Scham stieg in mir auf. Seine kostbare Zeit sollte er nicht mit mir verplempern.
    Er drehte seinen Kopf von mir weg und sah Birte an. »Was erwarten Sie von mir? Was soll ich Ihrer Meinung nach tun?«
    Birte saß seelenruhig vor ihm. Eine Art der

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