iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
Verschwörung lag zwischen den beiden und sie schaute ihn bei der Antwort durchdringend an. »Dass Sie ihn sofort krankschreiben.«
Ich riss die Augen auf. Das hatte sie nicht wirklich gesagt? Eine Krankschreibung ging in meiner jetzigen Situation gar nicht. Bunte Pillen, die Energie spendeten, brauchte ich. Und welche zum Schlafen. Was auch immer das pharmazeutische Repertoire zu bieten hatte, würde ich akzeptieren. Aber eine Krankschreibung war eine Art Arbeitsverbot. Wie auferlegte Handschellen, die psychisch, physisch, aber auch rechtlich wirkten.
Morgen stand eine der wichtigsten Firmenveranstaltungen des Jahres an. Flugzeuge würden am Morgen europaweit starten, um Hunderte von Mitarbeitern der Firma auf eine sonnenverwöhnte Insel im Mittelmeer zu bringen. Das Programm für die Leistungsträger bestand aus tagelanger Bespaßung auf einem exklusiven Niveau, kostenintensive und kreative Maßnahmen für die Besten. Es waren motivierte Mitarbeiter, die erwarten konnten, mit ihren Chefs einige Gläschen Wein in entspannter Atmosphäre zu trinken. Ich war einer der Chefs und musste anwesend sein, zumindest körperlich.
Das schlechte Gewissen wucherte in mir und bahnte sich seinen Weg an die Oberfläche. Leichte Panik stieg in mir auf und mein Verantwortungsgefühl meldete Alarm.
Aber Birte war noch nicht fertig und sprach weiter: »Ich habe große Angst, dass er jeden Moment zusammenbricht und dann nicht, wie nach einem kurzen Schwächeanfall, wieder aufsteht und sich schüttelt, als wäre nichts gewesen. Er ist am Ende seiner Kräfte«, beendete Birte ihren Satz.
Ihr kamen dabei keine Tränen, aber mir. Mein emotionales Riesenrad begann sich erneut zu drehen.
Mein Hausarzt nickte. »Ich verstehe.«
Als er mir in die Augen schaute, trafen sich unsere Blicke nur für Sekunden, bevor ich den Kopf senkte.
»Möchten Sie das auch, Herr Schmitz?«
Ich wollte, dass er seine kranken Patienten behandelte. Ihnen sollte er helfen und nicht mir, der doch eigentlich kerngesund vor ihm saß und nur ein wenig überarbeitet war. Der morgige Flug ging auf die frühlingshafte Insel Mallorca und würde sicherlich wie eine Verjüngungskur wirken. Eine frische Meeresbrise mit wärmenden Sonnenstrahlen würde automatisch Erholung bewirkten.
Zugegeben, es ging mir nicht gut, aber so schlecht, dass ich nicht arbeiten konnte, auch wieder nicht, oder? Ich kämpfte mit mir.
Mein Blick schweifte zu Birte, die mich traurig ansah. Ich merkte, dass ich das, was wir gemeinsam mit diesem Arzttermin begonnen hatten, nicht abbrechen durfte. Ich brauchte Hilfe und wollte dabei nicht nur auf sie, sondern auch auf mein Bauchgefühl hören. Meinem stillen Eingeständnis sollte ich folgen, das ich so lange schon verdrängt hatte. Ich fühlte mich leer und spürte keine Energie mehr, weder für mich, noch für Birte und schon gar nicht für meine Mitarbeiter. Ich konnte nicht, wie bei einem Duracell-Hoppelhäschen aus der Batteriewerbung, meine Energiespeicher austauschen, wenn sie erschöpft und leer waren. Motivierende Reden von der Bühne zu halten oder nächtliche Diskussionen an Hotelbars zu führen, waren Dinge, die ich jetzt nicht mehr schaffte. Selbst wenn ich es gewollt hätte, ich konnte nicht mehr. Das merkte ich nun.
»Ja. Ich glaube, ich brauche eine kurze Auszeit«, brachte ich über meine trockenen Lippen.
Die müde Erleichterung sprach Birte aus den Augen. Zu viel Energie hatte sie neben ihrem Job und dem Alltag mit mir in den letzten Monaten aufbringen müssen. Sie machte sich große Sorgen um mich.
»Ich pack das im Moment alles nicht mehr«, fasste ich meine jetzige Lage zusammen und erzählte auch von anderen Dingen, die mich bewegten. Die Worte platzten nun förmlich aus mir heraus.
Mein Gegenüber im weißen Kittel hörte verständnisvoll zu.
Eine wahnsinnige Erleichterung stieg in mir auf, jetzt, wo ich alles das erste Mal vor anderen ausgesprochen und offengelegt hatte. Ich spürte die nassen Schweißkränze unter den Armen. Mein Hemd war klitschnass.
»Haben Sie momentan akute Schmerzen?«
»Mein Ohr«, flüsterte ich leise. Diese Schmerzen hatte ich völlig vergessen und wieder mal als Lappalie verdrängt. Mit den jahrelangen Rückenschmerzen wollte ich ihm nicht auch noch in den Ohren liegen und sagte dazu gar nichts.
»Ich höre ganz schlecht auf dem einen Ohr. Manchmal schmerzt es so sehr, dass es auf die gesamte Kopfhälfte strahlt«, antwortete ich lauter.
Der Arzt fing an, mein Ohr eingehend zu
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