iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
Traum. Ich, als junger Berufsanfänger, durfte mit internationalen Künstlern und Architekten zusammenarbeiten. Ein ungeplanter Zufall ließ mich mit dem Geld verdienen, worin meine tiefe Leidenschaft lag. Ich genoss große Freiheiten, die ich mit Rückendeckung meiner Chefs in den unterschiedlichsten Projekten ausleben durfte. Ich konnte eigenwillige Ideen umsetzten, Neues ausprobieren und an Konventionen rütteln. Meine Produktpräsentationen fanden zum Teil in Kunsthallen und Museen statt und nicht in biederen Sitzungs- oder Tagungsräumen. Ich war von interessanten Menschen umgeben, die mich durch ihre Persönlichkeit, ihre unbändige Energie und ihre unkonventionelle Denkweise formten. Ob sie erfolgreich waren, spielte dabei nicht die wichtigste Rolle. Ich mochte den Umgang mit Menschen, die liebten, was sie taten, egal ob Techniker, Buchhalter oder Künstler. Lauwarme Hingabe fand ich öde.
Meine vielen Geschäftsreisen brachten mich überall hin, auch in ferne Länder zu außergewöhnlichen Veranstaltungen. Ich nahm nichts als Selbstverständlichkeit hin, sondern genoss das Besondere im Rahmen meines Berufes. Dabei hieß »besonders« nicht zwangsläufig auch »teuer«. Ich fand mich in Situationen wieder, die ich mir selbst nie hätte ermöglichen können. Für wenige gab es Zutritt zu unvergleichlichen privaten Kunstsammlungen, aber durch meinen Job wurde es mir ermöglicht. Selbstverständlich genoss ich die extravaganten Menüs in angesagten Restaurants, wäre aber nie auf den Gedanken gekommen, in meiner Freizeit ebenfalls dorthin zu gehen. Mir war es nicht wichtig, welcher Prominente mein Tischnachbar war. Meistens erkannte ich die sowieso nicht. Das Essen an der einfachen Bude am Eck mit Fischbrötchen in der Hand und Fassbrause schmeckte mir genauso gut. Allerdings hatte ich durch meinen Job die Chance, etwas anderes kennenzulernen. Mein Leben hatte unterschiedliche Facetten. Mir wurde vieles im Beruf ermöglicht, wovon ich als Privatperson Ingo Schmitz nur hätte träumen können. Diese Rangfolge verwechselte und vergaß ich jedoch nie.
Der Marketingbereich mit dem Inhalt der Produktentwicklung, Markenbildung und strategischen Planung hatte sich als das Gebiet herauskristallisiert, in dem ich meine Talente und Persönlichkeit entfalten konnte. Ich brannte vor Engagement, dies blieb auch meinen Vorgesetzten nicht verborgen. Meine Jobs in verschiedenen Firmen umfassten stetig mehr Verantwortung für Projekte, Budgets und Mitarbeiter. Ich schätzte einen kollegialen Umgang, ohne Hierarchieklüngelei und distanziertem Chefgehabe. Meine familiären Wurzeln waren dafür viel zu sehr in der deutschen Mittelschicht verankert.
Ich mochte meine beruflichen Aufgaben sehr, aber trotzdem verbog ich mich nicht, um bestimmte Positionen zu bekommen. Das Tragen von Schlipsen fand ich nie passend für mich, egal in welcher Situation. Dieser kleine Stofffetzen konnte doch nicht ernsthaft darüber entscheiden, ob jemand passend oder stilsicher gekleidet war. Also trug ich keine und wenn der Job sich hauptsächlich über Krawatten definieren sollte, dann war ich nicht der Richtige dafür.
Auch als Vorstand trug ich keine Krawatte, dafür aber Dreitagebart. Ich fuhr weiterhin mit meiner alten Vespa zur Arbeit und fand, dass sich diese auf dem Parkplatz mit den unnötigen reservierten Vorstandsplätzen gut machte. Ich war Vorstand, also parkte ich auch meine Vespa dort. Es stand ja nicht »Chefparkplatz für Firmenwagen« auf dem Schild. Konflikte mit konservativen Gesetzmäßigkeiten, abseits der Normalität, hatte ich schon immer austragen müssen. Wieso sollte das nun als Vorstand anders sein? Die anderen Kollegen empfanden viele meiner Handlungen nicht »vorstandskonform«, wie sie mir mitteilten und mich spüren ließen. Das schloss auch die Vespa als Vorstandsfahrzeug mit ein.
Ich hatte mir mit dem neuen Job und der Position eine persönliche Last aufgebürdet. Ich redete mir jedoch hartnäckig ein, dass der fremde Aufgabenbereich eine großartige Chance war, um meine Grenzen neu zu verschieben.
Im Laufe der Zeit stellte ich mir jedoch häufiger die Frage, warum ich die Führungsposition angenommen hatte? War mir am Ende die Position doch wichtiger als der Inhalt geworden? Warum war die Wahl auf mich gefallen? Hatten ich mir die Seele abkaufen lassen?
Ich blinzelte mich zurück in die Realität und ließ mich von der beruhigenden Radiomusik in meinem Auto einfangen. Momentan konnte ich keine anderen Sender
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