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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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als solche mit klassischer Musik ertragen. Die Musik allein vielleicht noch, aber die Aneinanderreihung von Werbejingles für den eigenen Radiosender, endlose Gewinnspiele, das ewige Lustigsein und das hektische Reden gingen mir bei einigen Sendern schwer auf die Nerven. Ich konnte es kaum mehr ertragen.
    Langsam holte mich die Müdigkeit ein. Die mich leider immer schlagartig überfiel, wenn ich nicht im Bett lag. Es war vielmehr eine in Watte eingehüllte, dumpfe Mattheit als eine gesunde Müdigkeit. Nicht dass ich nicht schlafen wollte. Ich sehnte mich nach Schlaf. Aber ich schaffte es nachts nicht mehr, mich von meinen Gedanken loszureißen. Wenn ich einschlief, dann wachte ich mitten in der Nacht immer wieder auf. Ich konnte mich seit langem an keine gedankenfreie Nacht erinnern, in der ich mich nicht bis zum Morgen unruhig im Bett gewälzt hatte. Es war, als steckten meine Finger in der Steckdose und mein Körper wurde elektrisiert. Meine inneren Alarmglocken standen auch nicht mehr still, klangen mir Tag und Nacht in den Ohren. Mein Bauchgefühl wollte mir etwas mitteilen, aber ich hatte keine Ahnung was.
    Es war nicht die viele Arbeit, die andere pauschal als Sündenbock für Druck und Anspannung verantwortlich machten; nicht der alltägliche Stress; auch nicht die ungewohnten Aufgaben meines neuen Jobs. Irgendwas stank zum Himmel. Ich konnte es riechen, aber nicht orten. Und weil ich es selbst nicht in Worte fassen konnte, lohnte es sich auch nicht, mit jemandem darüber zu reden. Wie sollte ich denn meine wirren Gedanken und Gefühle formulieren?
    Sobald ich durch bestimmte Türen der Firma trat, erwachte mein evolutionsbasiertes Frühwarnsystem für Gefahr. Ich spürte meinen Körper, der von Adrenalin und Cortisol überschwemmt wurde. Mein körpereigenes Doping lief auf Hochtouren und das Herz schlug schneller. Ich ähnelte plötzlich einem Höhlenmenschen, der sich mit der imaginären Keule in der Hand zu verteidigen versuchte oder sich fluchtartig aus dem Staub machen musste. Es war, als erinnerten sich meine Zellen an die Urzeit, daran, dass sie von Jägern und Gejagten abstammten. Aber was hatte die Keule in meinem schicken Hamburger Büro zu suchen? Und warum versetzte mich mein evolutionsbiologisches Frühwarnsystem ständig in Alarmbereitschaft?
     
    Ich wachte aus meinem Tagtraum auf, als Birte mit ihrem Wagen die Zufahrt zum Parkplatz erreichte. Sie parkte neben mir ein. Kurz schaute sie mich an, während sie ihr Handy ans Ohr nahm und mit jemandem in ruhiger Art sprach. Sie organisierte beruflich Veranstaltungen und ein Aufbau war mitten im Gange. Die Veranstaltung fand, quasi als Heimspiel, in der Nachbarschaft statt, in Hamburg-Flottbek.
    Birtes Mobiltelefon klingelte erneut. Sie ließ immer noch keinen Hauch von Ungeduld oder Gereiztheit spüren, als ich sie durch die Seitenscheibe ansah. Sie mochte ihre Arbeit sehr. In solchen arbeitsreichen Momenten wurde sie nach außen immer ruhiger, doch ihrer Anspannung gab sie nachts freien Lauf und knirschte ihre Zahnschiene während mancher Veranstaltungen in Grund und Boden. Zum Glück besaß sie diesen metallverstärkten Sparringspartner, der in der Nacht herhalten musste. Ich blieb als Büßer zum Dampfablassen verschont.
    Nach wenigen Minuten beendete sie ihr Gespräch, schloss ihre Wagentür ab, setzte sich auf meinen Beifahrersitz und gab mir einen flüchtigen Kuss. Ihr Handy klingelte erneut, als sie es mit einem entschlossenen Blick aufs Display ausschaltete. Ohne zu antworten. Ich merkte, dass nun etwas Wichtigeres als ihr Job anstand. Alles andere musste warten. Fünf Minuten blieben uns bis zum Arzttermin.
    »Hallo«, grinste ich sie gequält an. »Läuft der Aufbau für die Veranstaltung?« Mein lässiger Tonfall machte ihr umso deutlicher klar, dass ich Heiterkeit vorgaukelte.
    Birte antwortete mir nicht. Sie hatte mit dem Ausschalten ihres Handys ihren Job ausgeblendet und sah mich fragend an.
    Ich sprach nun das aus, was mir der Bauch schon so lange mitzuteilen versuchte: »Ich pack das alles nicht mehr.« Eine unerträgliche Wärme stieg in mir auf. Selbst die Augen brannten vor Hitze und überzogen sich mit einem feuchten Tränenschleier. »Scheiße, so ein verfluchter Mist!«
    Ich wollte weinen, aber nicht hier. Ich sehnte mich danach, meinen Kopf auf ihren Schoß zu legen und meine endlose Enttäuschung in Bächen von Tränen ersaufen zu sehen. Ich wollte solange weinen, bis die Haut von einer Salzkruste überzogen spannte und ich

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