iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
ihn gerade fesselte. Ingo saß nicht mit traurigen Augen im Sessel und starrte Löcher in die Wände. Seine Uhr schien nicht stehen geblieben zu sein, als er allein gewesen war. Nein, er konnte sich wieder mit sich selbst beschäftigen. Tag für Tag besser und jedes Mal ein bisschen länger und konzentrierter.
Seine wiedergefundene Energie verwendete er für die neue Aufgabe: Unsere Tourenplanung mit dem eigenen Camper von Alaska bis Feuerland. Ingo war dabei, sich in neue Dinge hineinzudenken und Sachen auszutüfteln. Es machte ihm sichtlich Freude, sich mit Klimazonen und technischer Ausrüstung zu beschäftigen. Unser Plan nahm stetig Form an, obwohl wir erst Anfang des nächsten Jahres starten wollten.
Zu Beginn hatten wir ein Jahr Reisezeit anvisiert. Als wir jedoch die Dimensionen des Kontinents realisierten, verlängerten wir nach kurzer Überlegung auf zwei Jahre. Unsere Ersparnisse ließen es zu. Wir wollten mit Ruhe reisen und nicht von Anfang an Zeitdruck verspüren. Außerdem stellten wir fest, welchen Organisationsaufwand die Tour bereits für ein Jahr bedeutete. Und die Hauptkosten für Verschiffung, Fahrzeuganschaffung und Flüge blieben gleich hoch, egal, ob für ein Jahr oder länger. Ingo hatte bereits im Internet mit der Suche nach einem geeigneten Fahrzeug begonnen. Wir wollten eins in Deutschland kaufen, komplett überprüfen, die Technik kennenlernen, für unsere Bedürfnisse anpassen und dann auf den amerikanischen Kontinent verschiffen lassen.
Es gab viele Gründe, warum wir die Tour gerade in Nord- und Südamerika planten. Der ausschlaggebende Punkt war die unglaubliche Gebirgslandschaft, die sich von Norden nach Süden durchzog. Die wollten wir hauptsächlich kennenlernen. Außerdem war unsere Neugier auf die unterschiedlichen indigenen Lebensweisen und die großartigen Kulturschätze riesengroß. In Gedanken standen wir bereits auf den alten Pyramiden der Azteken, flogen über die peruanischen Nasca-Linien oder befanden uns auf Märkten mit unbekanntem, exotischem Essen. Mit Englisch und Spanisch würden wir fast überall auf dem Kontinent zurechtkommen und uns mit den Einheimischen verständigen können.
Eine Bekannte hatte uns die Frage gestellt: »Was macht ihr denn die ganze Zeit auf der Reise? Meint ihr nicht, dass euch langweilig wird?«
Damals war ich perplex gewesen, dass sie überhaupt die gedankliche Brücke zwischen der Tour und Langeweile schlagen konnte. Ich hatte ihr darauf geantwortet: »Weißt du, wenn ich vor einer alten Pyramide stehe und die Geschichte nicht begreife oder sie mir besonders gut gefällt, dann gehe ich am nächsten Tag wieder hin. Und wenn ich möchte, auch noch ein weiteres Mal.« Sie hatte es als Scherz aufgefasst, dass ich mit alten Steinen meine Zeit vertrödeln wollte.
Ich meinte es jedoch, wie ich es gesagt hatte.
Ich ging auf unseren Balkon und hielt mein Gesicht dem Frühling entgegen. Die späten Sonnenstrahlen des Tages wärmten zwar nicht mehr die Haut, aber das Gefühl, dass sie es könnten, reichte mir. Ich schaute zurück ins Wohnzimmer, auf Ingos Finger, die flink über die Tastatur glitten. Irgendwann standen sie still. Unsere vertrauten Blicke trafen sich.
»Wie war dein Tag?«, fragte ich ihn.
»Ich habe heute was ganz Tolles gemacht«, sagte Ingo und setzte sich dabei noch aufrechter auf seinen Stuhl. Die Aufgeregtheit war ihm anzumerken. Das verkniffene Lächeln der letzten Monate war verschwunden, es hatte sich in Luft aufgelöst. Das jetzige wurde durch ein ehrliches Gefühl von neu geweckter Lebensfreude ausgelöst und erreichte seine Augen wieder. Die Fenster zur Seele ließen das Funkelten wieder durch.
Neugierig setzte ich mich auf einen Stuhl ihm gegenüber und wartete auf seine Erzählung.
»Der Tag war so schön. Zuerst konnte ich mich überhaupt nicht aufraffen, aber dann habe ich es doch getan. Ich bin heute in der Sonne an der Elbe Fahrrad gefahren. Es war wunderschön. Zuerst die Elbe abwärts, dann habe ich mit der Fähre übergesetzt, bin dort ein bisschen herum geradelt und dann ging es mit der Fähre wieder zurück. Ich bin langsam gefahren, aber ich merke ordentlich meine Muskeln in den Oberschenkeln.«
Sein Gesicht sah noch immer von der Anstrengung gerötet aus. Die Verfärbung zeigte aber auch den Stolz über den gewonnenen Kampf gegen seinen inneren Schweinhund.
»Das hört sich super an. Der Tag war auch zu schön, um ihn nicht in der Natur zu verbringen. Ich bin stolz auf dich«, schob ich
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