iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
lächelnd hinterher, weil ich es genauso meinte. Ingo wollte wieder gesund werden. Er schien in seinen Körper zu horchen, um herauszufinden, was der für seine Genesung brauchte. Nicht von jemandem Außenstehenden verordnet, sondern von ihm selbst empfunden. Nicht Wochen vorher geplant oder festgelegt, sondern in einer Momentaufnahme selbst gewollt und dann auch gemacht. Mir kam es vor, als hätte Ingo die Spurensuche nach seinem verlorenen Körpergefühl aufgenommen.
Ingo tippte weiter auf seiner Computertastatur, während ich nach draußen auf die Elbe schaute.
Er war bloß Fahrrad gefahren, hielt ich mir die Einfachheit vor Augen. Ich musste an all die Behandlungen und Maßnahmen zurückdenken, die Ingo und ich kopflos ausprobierten hatten, um eine gesundheitliche Verbesserung zu erreichen. Ein Dreivierteljahr bevor Ingo seinen totalen Zusammenbruch erlitten und der Arzt ein Burn-out diagnostiziert hatte, war ich schon in blinden Aktionismus verfallen. Meine Vorahnung, dass etwas Schlimmes passieren könnte, hatte mit jedem Monat zugenommen. Ich sah, wie Ingo einem Dampfkochtopf ähnelte. Das Innere stand so sehr unter Druck, dass zischender Dampf aus allen Ritzen entwich. Abstellen oder vom heißen Herd herunternehmen funktionierte gar nicht mehr. Selbst dreiwöchige Urlaube reichten nicht mehr aus, um diesen Zustand wirkungsvoll zu ändern.
Ich fing damals instinktiv an, unsere privaten Verabredungen und Aktivitäten zu reduzieren. In unserer freien Zeit nach der Arbeit und am Wochenende sah ich den einzigen Puffer, um etwas zu ändern. Die Kraft sollte in der Freizeit angespart werden. Als wäre die Energie wie auf einem buchhalterischen Konto geparkt: Soll an Haben.
Faulenzen, Nichtstun und Abhängen fielen mir als erste Allheilmittel in den kurzen Verschnaufpausen ein. Was allen scheinbar gut tat, konnte Ingo vielleicht auch helfen. Er selbst hatte den Punkt verpasst, an dem er hätte in sich hinein horchen können.
Dabei häuften wir unterbewusst unsere vermeintlich neugewonnene Entspannungsfreizeit mit privaten Terminen und Verpflichtungen an. Saunagänge bestanden nicht mehr nur aus zeitlich ungebundenen und aus der Laune heraus entschiedenen Aktivitäten. Die selbstverordnete Entspannung sollte durch noch mehr Erholung gesteigert werden. Die zusätzliche Massage zur Sauna buchten wir terminlich im Voraus und pressten ungewollt unsere Entspannung wieder in einen zusätzlichen Schraubstock. Freizeitstress!
Die eigene verwaiste Badewanne in unserer Wohnung hatten wir seit Monaten nicht mehr benutzt. Eine schnelle Dusche am Morgen reichte aus, um repräsentativ zur Arbeit und unter Menschen gehen zu können. Entspannung allein und in den eigenen vier Wänden zu finden, war zu abwegig. Es erschien uns wohl zu unspektakulär, als dass wir ernsthaft daran denken konnten. Auf die nahe liegenden Dinge kamen wir nicht. Auch nicht auf lange Fahrradtouren an der Elbe, wie Ingo sie nun wieder machte.
Warum auch einfach denken, wenn wir Menschen mit komplexen und komplizierten Gehirnwindungen ausgestattet waren und das gesamte Spektrum ausreizen konnten? Einfach kann doch jeder, oder? Scheinbar nicht, dachte ich nun, denn wir hatten nicht unser schönes Zuhause an der Elbe, nicht die verwaiste Badewanne, nicht das Kajak im Garten und auch nicht die verstaubten Fahrräder im Keller gesehen. Wir waren nicht auf die einfachsten Möglichkeiten der Erholung gekommen.
Ich schaute immer noch nach draußen und beobachtete einen Mann am Wasser entlang laufen. Seine Bewegungen wirkten leicht, fast spielerisch. Er schien Freude am Laufen zu haben.
Als Ingos Burn-out sich bereits angeschlichen hatte, war nichts mehr einfach gewesen, nicht einmal Sport, dachte ich zurück.
»Sport fördert die Gesundheit«, mit diesem Satz wollte Ingo seiner Erschöpfung entgegenwirken, zumindest hatte er sich das so eingeredet. Allerdings nicht in der gebührenfreien Natur, die vor unserer Haustür lag, sondern an organisierten Geräten in einer klimatisierten Halle in einem anderen Stadtteil.
Ingo war Jahre lang Mitglied in einem Fitness-Club gewesen und zahlte brav die exorbitanten Monatsbeiträge. Dabei hielt er krampfhaft am Altvertrag zu günstigeren Konditionen fest, auch wenn der Fitness-Club inzwischen weit entfernt zum jetzigen Arbeits- und Wohnort lag. Bei seiner sporadischen Benutzung war diese Taktik eine wahre Milchmädchenrechnung, die aber zumindest sein sportliches Gewissen beruhigte.
Und weil es mit seiner
Weitere Kostenlose Bücher