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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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trinken«, sagte er und hielt mir eins der beiden Getränke hin.
    »Danke.« Ich nahm es und trank einen Schluck. »Ingo, wie viele Jahre hast du deine Rückenschmerzen eigentlich schon?«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Ich musste gerade daran denken, über welchen Zeitraum sich deine Gesundheit schleichend über Jahre verschlechtert hatte. Es kam immer etwas Neues dazu.«
    »Na ja, es war ja auch immer noch auszuhalten. Meine Rückenschmerzen begannen ganz langsam. Ich glaube vor fünf Jahren. Jedes Jahr wurde es jedoch schmerzhafter.« Ingo nippte abwesend an seinem Glas.
     
    Ich sagte nichts, dachte aber im Rückblick: Du hast viel zu lange auf alles andere geachtet, nur nicht auf dich selbst und schon gar nicht auf die eigene Gesundheit.
    Dabei konnte sein Körper ihm über lange Zeit etwas vorgaukeln. Permanenter Sport von klein auf hatte einen großen Puffer an physischer Fitness aufgebaut. So schnell vergaß der Körper nicht, was er in jahrelanger Arbeit und mit kindlicher Freude entwickelt hatte. Ingo hatte nie Sport getrieben, um gesund zu bleiben oder um es zu werden, sondern weil ihm Bewegung Spaß machte.
    Über fünf Jahre hatten sich Ingos Rückenschmerzen eingeschlichen, rief ich mir entgeistert ins Bewusstsein. Was für eine verflucht lange Zeit!
    Mit den Beschwerden hatten auch der Antrieb und die Freude an der Bewegung nachgelassen. Als sie begannen, bekämpfte er sie nicht sofort energisch, sondern gab ihnen immer mehr Raum. Er hatte beim Sport Durchhaltevermögen gelernt. Beißen konnte er.
    Passiv ging er kostspielige Untersuchungen mit Hightech-Geräten an. Die Vollkasko-Denkart hatte sich bereits in seine Gehirnwindungen eingeschlichen. Das medizinische Schlaraffenland Deutschland leistete fast alles freizügig, besonders bei Privatpatienten. Wollte er vielleicht auch die Verantwortung aus der Hand geben und die auf andere abbügeln?
    Der Arzt hatte nach vielen Untersuchungen nichts gefunden, außer einen äußerlich gesunden Mann. Was der Fachmann nicht fand und Röntgen- und Computertomographiebilder nicht schwarz auf weiß zeigten, konnte nicht gefährlich sein, war Ingos Schlussfolgerung gewesen. Dass die Schmerzen andere Ursachen haben könnten, wie die enorme Arbeitsbelastung, das schnelle Lebenstempo oder der psychische Druck, daran dachte er nicht. Er vertröstete sich lange Zeit damit, dass alles wieder in Ordnung kommen würde.
    Die körperlichen Beschwerden wurden jedoch schlimmer und es kamen neue hinzu. Plötzlich waren auch noch seine Blutwerte schlechte. Die Ergründung der Ursachen nahm trotzdem keinen hohen Stellenwert ein, denn schließlich hatten verschiedene Ärzte nichts feststellen können und äußerliche Anzeichen gab es auch nicht: Kein Gebrechen, das Ingo jeden Tag selbst ins Auge sprang, kein hässliches Furunkel auf der Nase und kein eitriges Geschwür, das ekelhaften Gestank verbreitete. Alles war noch dran und funktionierte auch irgendwie.
    Stattdessen brachten wir dem äußerlichen Schutz eine Art übertriebener Verehrung entgegen. Je mehr Schutzschichten angehäuft werden konnten, umso sicherer füllten wir uns: Es war undenkbar ohne Anschnallgurt im Auto zu fahren. Beim Inline-Skaten glichen wir den gepolsterten Michelin-Männchen aus der Werbung, ebenso beim Ski- oder Motorradfahren. Alles gut und richtig, aber unser Fokus lag nicht gleichmäßig auf den gesamten Körper verteilt, sondern starrte mit störrischer Verbissenheit nur auf die Oberfläche. Die schlummernden Gefahren im Inneren ignorierten wir. Aber das gestanden wir uns in unserer Selbsttäuschung natürlich nicht ein.
    Die Bedeutung der Gesundheit war letztlich erst wieder erwacht, als Ingos Gesamtzustand schon angeschlagen war, dachte ich bitter. Da war es zu spät gewesen, um die anpirschenden Risiken vertreiben zu können und den Schutz selbstverantwortlich zu stärken.
    Ingo hatte seine Gesundheit schlichtweg aus den Augen verloren, mit der Gewissheit, dass alles irgendwie wieder zu heilen war. Vollkasko, selbst bei Fahrlässigkeit und grobem Umgang. Im allumfassenden Deutschland war es ihm passiert, in dem es doch so viel leichter sein sollte, gesund zu sein, zu bleiben oder es wieder zu werden. Körperlich, psychisch und sozial. Für eines der wertvollsten Besitztümer, die eigene Gesundheit, war ihm die Wertschätzung verloren gegangen, denn sie war selbstverständlich immer da gewesen. Wie vieles in unserer hochentwickelten Wohlstandsgesellschaft, das wir nicht mehr wahrnahmen und

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