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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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ihre umfangreichen Notizen konzentrierte –, war so lässig provokant, daß Jacks Herz wie wild klopfte. Jack konnte nicht verstehen, wie ihre Beine sogar während der New Yorker Winter so braun bleiben konnten. Als er sie später näher kennenlernte, erfuhr er, daß sie aus einem begüterten Haus stammte. Das war das erste, was ihm bei reichen Leuten auffiel: Sie schienen immer sonnengebräunt zu sein, als verhelfe ihr Geld ihnen zu mehr Sonnenschein, als armen Leute zustand.
    Jack war niemals braun. Er gehörte zu den armen Leuten, besuchte die Universität dank eines Stipendiums und arbeitete abends, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Er hatte noch nicht einmal daran gedacht, viel Geld zu haben. Nicht, bevor er Caroline sah. Und auch dann dachte er zuerst nicht an Geld. Schließlich aber waren es diese eleganten braunen Beine, die ihn umdenken ließen. Er fragte sich, was er tun müßte, um sich diesen Beinen nähern, sie mit seinen rauhen und schwieligen und sehr weißen Händen streicheln zu dürfen.
    Er beobachtete sie nahezu ein ganzes Jahr lang. Er verfolgte sie nicht, sondern nahm nur zur Kenntnis, wenn sie in der Nähe war. Und er schmachtete auch nicht nach ihr, sie beherrschte seine Gedanken nicht – er hatte Freundinnen, sein Leben war ausgefüllt, und er hatte eine Menge zu tun –, aber sie wich niemals ganz aus seinem Bewußtsein. Immer wenn er sie sah, in einem Hörsaal, auf dem Campus, in einer Bar oder auf einer Party, studierte er sie und weidete sich an ihrer Ungezwungenheit. Es war für ihn unbegreiflich, wie jemand in jeder Situation so selbstsicher, so relaxed und souverän sein konnte. Männer und Jungen umschwärmten sie voller Bewunderung. Frauen schien es nichts auszumachen, sie mochten sie trotz ihrer erstaunlichen Beliebtheit und genossen ihre Freundschaft. Immer nur von weitem beobachtete Jack, wie sie jeden auf sich zukommen und sich von ihm hofieren ließ – und ihrerseits freundlich und höflich blieb und dabei stets eine gewisse Distanz wahrte.
    Als er zum erstenmal ihre Stimme hörte, war er überrascht. Sie paßte ganz und gar nicht zu ihrer sonstigen Erscheinung. Er hatte nicht mit diesem Südstaatenakzent gerechnet, der nicht sehr stark, aber trotzdem in allem, was sie sagte, nicht zu überhören war. Ihre Stimme klang eher schelmisch als ernst oder elegant. Sie war ein wenig heiser, nicht gleichmäßig und vollkommen. Und sie war nicht weich und unaufdringlich und sanft, wie er es sich ausgemalt hatte, sondern kräftig, dominierend und bissig.
    Sie waren in einem Club namens Mikell’s auf der Upper West Side, unweit der Universität. Ein Jazzlokal, dunkel und nicht besonders anspruchsvoll, mit soliden Hamburgern und billigem Bier. Sie waren nicht zusammen dort. Caroline war in Begleitung einer ganzen Gruppe von Freunden und Freundinnen, alle bestens gekleidet, alle während der Musik lachend und schwatzend, alle eingebildet genug, um zu glauben, sie wären weitaus interessanter als die melodiöse, klagende Musik von der Bühne. Jack war allein, nicht besonders elegant angezogen, und er lachte nicht. Er war im ersten Studienjahr und erlebte in einem Rausch, wie schnell sich sein Horizont erweiterte. Zu diesen neuen Erfahrungen gehörte auch seine Vorliebe für Musik. Rock ’n’ Roll, manchmal Klassik, manchmal Jazz. Im richtigen Club am richtigen Abend bei den richtigen Musikern und mit der ausreichenden Menge Bier intus konnte Jazz ihm eine Botschaft vermitteln. Er konnte ihn in eine sinnliche und geheimnisvolle Welt entführen. Dies war einer dieser Abende. Er war in die Musik vertieft, weshalb er auch nicht bemerkte, daß sich jemand an seinen Tisch setzte. Doch sobald die Musik geendet hatte, fühlte er sich wie gelähmt – dieser Jemand war Caroline Hale.
    »Ich kenne dich«, sagte sie.
    Er nickte, unfähig, ein Wort hervorzubringen.
    »Aus Goodmans Seminar.«
    Er nickte abermals. Da seine Stimme ihn eindeutig im Stich ließ, hoffte er, daß seine Augen seine Freude widerspiegelten.
    »Und vom Campus«, fügte sie hinzu. »Ich sehe immer, wie du mich anschaust.«
    Ein weiteres Nicken. Diesmal verlegen. Er wußte, daß in seinen Augen jetzt keine Freude war.
    »Gewöhnlich stehst du hinter einem Baum oder etwas anderem. So, als würdest du mich belauern.«
    Ein Nicken. In seinen Augen lag Schmerz, eindeutig Schmerz.
    »Kannst du auch reden?« fragte sie.
    Er nickte wieder, und sie lachte. »Machen alle Frauen dich so nervös?«
    Diesmal schüttelte er den

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