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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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verblüfft und fragte: ›Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?‹. Und ich erwiderte: ›Was gibt es anderes dazu zu sagen?‹ Ich habe noch nie gesehen, daß jemand so erleichtert war. Er nickte nur und meinte: ›Ja, ich glaube, das ist richtig.‹«
    »Wirst du mich jemals daran teilhaben lassen?« fragte sie, während sie sich dem Fleisch-Distrikt näherten. »Oder willst du dich nur in Andeutungen ergehen, ohne mir zu verraten, worum es wirklich geht?«
    Er holte tief Luft und nickte. Es hatte keinen Sinn, länger damit hinter dem Berg zu halten, also fing er einfach an.
    1948, Dominick Bertolini war 22, brauchte er nur noch zwei Kämpfe, um gegen den Weltmeister im Leichtgewicht boxen zu können. Doms Erfolgsstatistik zählte 34 Siege, davon 28 durch K.o. Bei 19 von diesen 28 Kämpfen fiel die Entscheidung während der ersten fünf Runden. Drei der Männer, die er besiegt hatte, stiegen anschließend nie mehr in den Ring. Einer von ihnen blieb auf einem Ohr taub, so heftig wurde er verprügelt. Die beiden anderen überstanden die Kämpfe halbwegs unversehrt, aber ihr Kampfgeist war ebenso zerbrochen wie ihre gerissene Milz oder gequetschte Niere. Dominick war ein brutaler Schläger, nicht besonders elegant. Er war wegen seiner ungestümen und unbezähmbaren Wildheit ein Liebling der blutrünstigen Boxfans und zynischen Sportjournalisten.
    Dom hörte nicht gern, daß man ihn als Wilden titulierte, obgleich er nichts tat, um dieses Image zu korrigieren, zumindest nicht öffentlich. Seine Manager meinten, es lockte die Leute in die Hallen, was wiederum Geld in Doms Taschen brachte. Und da Dom nur wenige Dinge im Leben mehr haßte als Kämpfen, tat er es aus nur einem einzigen Grund – Geld. Er wollte nicht, daß die Hallen leer blieben. Wenn er sich selbst hätte beschreiben sollen, dann mit dem Begriff »unerbittlich.« Und das war er, seit er ein kleiner Junge war.
    Ihm waren Gewalt und sogar Barbarei nicht fremd. Angst und Brutalität waren alltägliche Gefährten, wenn man nach 1930 auf der West Side von Manhattan aufwuchs, in einer Gegend namens Hell’s Kitchen. Sie trieben ihr Unwesen sehr oft in Doms eigener Wohnung, nämlich in der menschlichen Gestalt seines Vaters. Soweit Dominick als Kind erkennen konnte, hatte Anthony Bertolini nichts Versöhnliches an sich. Er war grob und laut und bösartig und stank immer nach einer unangenehmen Mischung aus Schweiß, Alkohol und allen möglichen anderen Gerüchen der Straße, die an ihm klebten. Tabak. Schmutz. Abfall. Manchmal sogar Blut.
    Manchmal war es Doms Blut.
    Meistens war es das seiner Mutter.
    An seinem elften Geburtstag, nach einer besonders schmerzhaften Tracht Prügel, die er und seine Mutter hatten über sich ergehen lassen müssen, begriff Dominick, daß er eine Entscheidung treffen mußte. Ihm war klar, daß es nur zwei Möglichkeiten gab. Er konnte still bleiben, in seiner schmerzerfüllten, stummen Welt verharren und weiterhin die Mißhandlungen seines Vaters hinnehmen. Oder er konnte sich wehren und gewinnen und der Not ein Ende machen.
    Als er 14 Jahre alt war, hatte er sich zu einem beängstigend aggressiven Kind entwickelt. Es gab keinen Jungen in der Schule, ganz gleich, wie alt, mit dem er es nicht hätte aufnehmen können. Er war nicht nur stark und unerbittlich, es machte ihm auch nichts aus, geschlagen zu werden. Er fürchtete sich nicht vor Schmerzen. Er war immun dagegen.
    Drei Tage vor seinem 15. Geburtstag rastete sein Vater am Abendbrottisch völlig aus. Fast ohne provoziert worden zu sein – seine Mutter hatte nervös gehüstelt, und Anthony empfand das als gegen ihn gerichteten Vorwurf –, schlug er mit dem Handrücken zu und fegte Rosemary Bertolini vom Stuhl. Dann begann er langsam die Ärmel hochzukrempeln, stand vom Tisch auf und verkündete mit einem häßlichen Grinsen, daß er nun seine Frau halbtot prügeln wolle. Das war der Moment, in dem Dominick entschied, daß die Zeit reif war. Er erhob sich ebenfalls von seinem Stuhl und erklärte, ohne seine Stimme zu heben: »Das tust du nicht.«
    Sein Vater musterte ihn ungläubig. »Sag das noch mal«, forderte er ihn auf. »Ich glaube, ich habe mich verhört.«
    »Du wirst sie in Ruhe lassen.«
    »Schön.« Das Wort wurde in mehrere Silben zerlegt. Anthony wurde mit dem Hochkrempeln der Ärmel fertig und blickte dann auf seine Frau hinunter, die noch immer am Boden lag, ihn nun aber anflehte, ihren Sohn in Ruhe zu lassen. Er lächelte sie an – es war das erste Mal,

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