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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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schnell gegangen sein, denn es war ziemlich kalt, und obgleich er keine Jacke trug, schwitzte er. Aber warum war er stehengeblieben? Wo war er?
    Reggie schaute hoch zu den Zahlen an der Fassade des gewaltigen Gebäudes an der Ecke. 527 East 42nd Street. Woher kannte er diese Adresse?
    Er hörte das Geräusch von raschelndem Papier, schaute nach unten und sah einen Zettel in seiner Hand. Gelbes Papier. Er strich es glatt, es stammte aus einem Telefonbuch. Ach ja. Er hatte in einem Telefonbuch geblättert. Aber warum? Was hatte er dort gesucht?
    Jetzt erinnerte er sich.
    Er hatte nach Anwälten gesucht. Nach verlogenen, betrügerischen, schwanzlutschenden Anwälten.
    Reggie starrte auf die herausgerissene Seite, sah, daß er den Namen eines Anwalts ganz oben auf dem Blatt eingekreist hatte. Der erste im Telefonbuch. Es war der Name einer Kanzlei.
    Aarons, Seuss and Seaver.
    Und sieh mal da. Die Adresse. 527 East 42nd Street. Ge nau, wo er jetzt stand. Verdammte Hacke, dachte Reggie Ivers. Was für ein Zufall. Und man mußte schon verrückt sein, um nicht an Zufälle zu glauben.
    Dom Bertolini betrat mit Jack die Vorhalle des Gebäudes
    an der Ecke First Avenue und 42 nd Street.
    »Du weißt doch, in welchem Stockwerk sie ist, ja?«
    »Im siebzehnten. Kommst du nicht mit rauf?«
    »Nein«, sagte Dom. Wie immer sprach er mit rauher, knurriger Stimme, und er wußte, daß es härter klang, als er beabsichtigt hatte. »Ich denke, sie will allein mit dir sprechen. Ich komme gleich nach.«
    »Was ist los?«, fragte Jack. »Was ist das tolle Geheimnis?«
    »Da mußt du sie selbst fragen«, sagte Dom. Und dann, mit seiner heilen Hand, strich er Jack das Haar aus der Stirn. »Wir können während des Spiels darüber reden, Jackie, nur du und ich. Aber jetzt mache ich einen kleinen Spaziergang um den Block. Und dann komme ich rauf und sehe nach, wie es euch geht.«
    »Mußt du mich Jackie nennen?«
    Dom nickte. »So habe ich dich immer genannt.«
    »Erwachsene sind komisch«, stellte Jack fest.
    »Du hast keine Ahnung, wie komisch«, meinte Dom. »Ich sehe dich nachher oben.«
    Er wartete, während Jack zum Wachmann ging, sich in die Besucherliste eintrug und dann den Fahrstuhl betrat. Dom beobachtete, wie die Fahrstuhltür sich schloß, ehe er wieder ausatmete. Dann kehrte er zur Drehtür zurück und ging hindurch auf den Bürgersteig. Er sah den hochgewachsenen, hageren Mann im T-Shirt, der die Straße überquerte und direkt auf ihn zukam, achtete aber nicht weiter auf ihn. Er sah auch, wie der Mann durch die Drehtür im Gebäude verschwand, aber Dom dachte nur: »Mann, der hat’s aber eilig.« Dann wandte er sich achselzuckend ab und begann seinen Spaziergang um den Block.
    Reggie wünschte, er würde nicht so stark schwitzen, als er sich dem Wachmann hinter dem Empfangspult näherte.
    »In welchem Stockwerk sitzen die Anwälte?« erkundigte er sich.
    Der Wachmann lächelte ihn an, es war kein freundliches Lächeln, eher ein herablassendes Grinsen, und erwiderte: »Wir haben eine Menge Anwälte im Haus. Zu wem wollen Sie?«
    Reggie hielt die gelbe Telefonbuchseite hoch, damit der Wachmann sie sehen konnte.
    »Aarons, hm?« sagte der Wachmann. »Sie sind auf siebzehn, aber ich glaube, sie sind schon alle weg. Haben Sie einen Namen? Ich kann raufrufen und nachfragen, ob er noch da ist.«
    Als Reggie keine Antwort gab, wiederholte der Wachmann: »Wie ist Ihr Name, Kumpel? Oder wollen Sie nur etwas abgeben?«
    »Abgeben«, sagte Reggie. »Ich habe was abzugeben.«
    »Warum lassen Sie es nicht hier?« fragte der Wachmann. »Ich geb’s dann morgen früh weiter.«
    »Okay«, sagte Reggie.
    Der Wachmann wartete, aber Reggie rührte sich nicht. »Ich sehe kein Päckchen«, sagte er. »Haben Sie nun etwas oder nicht?«
    »Ich habe was«, antwortete Reggie.
    »Und, wo ist es?«
    »Da«, sagte Reggie. Und er zog ein Klappmesser aus der Gesäßtasche – er hatte es vor ein paar Tagen auf der Straße gekauft – und stach damit wortlos dem Wachmann ins Herz, drei-, vier-, fünf-, sechs-, siebenmal, bis er aufhörte zu stöhnen oder sich zu bewegen oder zu atmen. Reggie schleifte den Körper hinter das Empfangspult und ging zum Fahrstuhl.
    Er brauchte einen Moment, um sich zu erinnern, was der Wachmann gesagt hatte, wohin er wollte. Dann fiel es ihm wieder ein.
    Also fuhr er in den siebzehnten Stock.
    Jack sah seine Mutter auf der anderen Seite des Raumes. Sie wandte ihm den Rücken zu und legte Schriftstücke in Aktenordner ab. Sie hatte

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