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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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ein Paar Krücken, die wir dann auch nicht mehr nötig haben.«
    Zwei Wochen später stieg Kid aus dem Fahrstuhl, wo Jack schon ganz aufgeregt auf ihn wartete. Wie immer schlug er sofort die Richtung zum Trainingsraum ein, aber Jack bremste ihn und zog ihn ins Wohnzimmer zurück. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Kid es bemerkte, doch Jacks Blick war eindeutig und lenkte seine Aufmerksamkeit in die richtige Richtung.
    Was Jack so eingehend betrachtete, war ein neues Gemälde, das an der Wohnzimmerwand aufgehängt worden war. Es hing ganz allein da im weichen Licht von der Decke. Es war nicht sehr groß, vielleicht einen halben mal einen Meter. Aber es beherrschte tatsächlich den gesamten Raum, und als Kid sich zu seinem Freund und Patienten umdrehte, hatte Jack feuchte Augen.
    »Du weißt, was das ist?« fragte er Kid.
    Kid nickte. »Ein Hopper. Ich habe noch nie einen echten gesehen.«
    »Ich dachte nicht, daß ich schon soweit wäre, ihn zu erwerben. Aber ich hatte meine Fühler schon seit längerem ausgestreckt und erfuhr, daß er angeboten wurde … und
    kam zum Schluß, daß die Zeit dafür gekommen ist.«
    »Die Zeit für was?«
    »Etwas zu tun, was ich tun sollte. Eine Art Versprechen einzulösen. Mir etwas wirklich Schönes zum Anschauen anzuschaffen.«
    »Findest du es schön?«
    Jack sah ihn überrascht an. »Du etwa nicht?«
    Kid zuckte die Achseln und sagte mit hoher, affektierter Stimme: »Ich betrachte Edward Hopper als Norman Rockwell für Depressive.«
    Jacks Kinnlade sackte praktisch bis auf den Fußboden. »Was?!«
    Kid grinste. »Jack«, sagte er, »ich habe nicht die geringste Ahnung von Kunst. Ich habe nur jemanden zitiert.«
    »Ein Mitglied deines beschissenen Teams?«
    Kid nickte. »Die Novizin. Sie hat in bezug auf Kunst ziemlich eigenwillige Ansichten.«
    »Tu mir einen Gefallen, und bestell ihr, sie solle sich ins Knie ficken.«
    Kid lachte. »Man sollte sich mit ihr nicht anlegen, Jack. Nicht nach dem, was ich gerade über sie erfahren habe.«
    »Du und dein verdammtes Team«, murmelte Jack. »Ich glaube nicht, daß es das überhaupt gibt.«
    Noch immer lachend, meinte Kid: »Es existiert wirklich. Hey, die Novizin stand sogar gestern in der Times . Sie ist berühmt.«
    »Nun, bring sie niemals hierher. Zeig ihr auf keinen Fall meinen verdammten Hopper.«
    »Ich habe nur einen Scherz gemacht, Jack. Ich finde das Bild wunderschön. Und sie würde es wahrscheinlich auch schön finden.«
    »Du und dem verdammtes Team«, wiederholte Jack.
    »Das Bild ist unglaublich schön, Jack. Ganz ehrlich.«
    Und als Jack fragend die Stirn runzelte, wiederholte Kid mit ernster Stimme: »Wirklich. Es ist wirklich wunder-, wunderschön.«
    Jack runzelte die Stirn. Dann nickte er, als er Kids letzte Worte akzeptierte. »Okay, du darfst bleiben«, sagte er. Und murmelte abermals: »Du und dein verdammtes Team.«
    Es war Mitte Februar, als Kid zu einer Morgensitzung erschien und aussah, als wäre er die ganze Nacht auf den Beinen gewesen. Jack brachte schnell in Erfahrung, daß er richtig vermutete.
    »Die Totengräberin«, sagte Kid, als reichte das als Erklärung völlig aus. Als Jack eine Handbewegung machte, eine stumme Frage nach weiteren Details, fügte Kid hinzu: »Es war eine besondere Nacht.«
    »Inwiefern besonders?« Jack hatte nicht vor, ihn so einfach davonkommen zu lassen. Zunächst einmal halfen ihm die Gespräche über Kids Privatleben, die Trainingssitzungen einfacher hinter sich zu bringen. Die Gespräche über Kids Liebesleben machten ihn außerordentlich neugierig. Und, wie er sich selbst gegenüber eingestehen mußte, irgendwie beneidete er ihn auch darum.
    Es war nicht zu übersehen, daß Kid sich unbehaglich fühlte. Seine Schultern hoben sich, und er schien den Kopf einzuziehen. »Sie betreibt die Beziehung viel zu intensiv. Emotional, meine ich.«
    »War die Nacht deshalb etwas Besonderes? Hast du ihr den Laufpaß gegeben?«
    »Nein.« Kid lachte nervös. »Sie hat mir beim Umzug in eine neue Wohnung geholfen. Sie hat sie mit eingerichtet.«
    »Herzlichen Glückwunsch. Wo ist sie?«
    »In Tribeca. In der Duane Street.«
    »Hübsch.«
    »Ja, das ist es, aber … ich weiß nicht recht. Ich weiß nicht, ob es richtig war, ihre Hilfe in einem solchen Umfang in Anspruch zu nehmen.«
    »Warum nicht?«, fragte Jack.
    »Sie ist sehr … kontrollierend. Sie befindet sich in einer Situation, in der ihr die Kontrolle über viele Dinge in ihrem Leben entglitten ist, daher neigt sie dazu, sich auf

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