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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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Es ist ein längerer Prozeß, aber er findet statt. Ich erkenne in deinen Augen, daß du dir dessen zunehmend sicherer wirst. Ich habe dir prophezeit, daß ich dich wieder in deinen alten Zustand versetze, also akzeptier es.«
    »Okay«, sagte Jack. »Für diese Unterhaltung jetzt will ich es mal als sichere Tatsache hinnehmen.«
    »Das reicht mir schon. Also weißt du, daß dein Körper wieder okay sein wird. Normal. Besser als normal. Aber was ist mit dem Rest von dir?«
    Jack gab nicht etwa deshalb keine Antwort, weil er keine parat hatte. Der Grund war, daß er von seiner Erkenntnis überwältigt wurde. »Sicherlich kannst du meinen Körper heilen«, meinte er schließlich, »aber ich glaube, mein Herz ist für immer gebrochen. Wir waren in vielerlei Hinsicht wie eine einzige Person. Und als sie starb, ist so viel von mir mitgestorben, daß das Ganze nicht mehr zum Leben erweckt werden kann.«
    »Ich mache dich wieder ganz, Jack.« Die Worte wurden leise ausgesprochen, aber in ihnen schwang Leidenschaftund Überzeugung mit. »Das tue ich. Und dann … vielleicht … irgendwie … kann der abgestorbene Teil doch wieder zum Leben erwachen. Ich wünsche mir, daß er wieder lebt, mehr als alles, was ich mir je in meinem Leben gewünscht habe.«
    »Von wem reden wir jetzt?«, fragte Jack. »Von dir oder von mir?«
    Diesmal sagte Kid nichts. Er deutete nur mit ausdrucksloser Miene auf die Gewichte, bis Jack sich bückte und nach ihnen griff, um den nächsten Schritt in Richtung seiner völligen Wiederherstellung in Angriff zu nehmen.

Siebzehn
    Es passierte schon wieder. Er hatte nichts gelernt.
    Was mußte geschehen, damit Jack Keller lernte?
    Was mußte geschehen, damit er begriff, daß man nicht stehlen darf, was anderen gehört? Wie viele Tode und Unfälle müßten passieren, ehe er begriff?
    Noch einer, mindestens.
    Noch ein weiterer Tod.
    Dann noch eine Chance.
    Dann, vielleicht, aber auch nur vielleicht, könnte das alles vorüber sein. Wenn nicht…
    Nun.
    Es würde keine weiteren Chancen geben.
    Aber es würden noch viele Leute sterben.

Achtzehn
    Das Jahresende war kalt und verschneit. Der Winteranfang aber verhalf New York zu seiner bekanntesten Rolle: der des gelebten urbanen Widerspruchs. Die Gebäude schimmerten und erhellten den Himmel, als wären sie etwas Lebendiges. Die Stadt wirkte rein und frisch und vibrierte vor Aktivität. Sie bettelte geradezu darum, erforscht zu werden, aber Touristen und Käuferscharen machten es nahezu unmöglich, sich vom Fleck zu bewegen. Man mußte den Kopf ganz schön hin und her drehen, um die außergewöhnliche Schönheit der Gegend zu erfassen, aber eine Drehung zuviel, und schon lief man Gefahr, in einen knöchelhohen Haufen dunkelbraunen Schneematsches am Bürgersteigrand zu treten.
    Weihnachten war schwierig, aber Jack nahm sich Matties Rat zu Herzen. Die Woche zwischen dem 25. Dezember und dem 1. Januar verbrachte er damit, in Gesellschaft von Dom, Kid und ein paar ausgewählten Besuchern bis tief in die Nacht zusammenzusitzen, exzellenten Wein zu trinken, gut zu essen und die Erinnerung an Caroline und die gute alte Zeit wachzurufen. Jack wurde sich bewußt, daß er allmählich begann, auf weitere gute Zeiten in der Zukunft zu hoffen. Diese Erkenntnis erfreute und erschreckte ihn zugleich. Und sie weckte in ihm ein Schuldgefühl, gegen das er sich einerseits wehrte, dem er sich andererseits aber bereitwillig hingab.
    Was wäre gewesen, wenn …
    Am Silvesterabend gingen Jack und Dom zu Daniel, dem besten Restaurant von New York. Auf Doms Kosten. Kid war ebenfalls eingeladen, verbrachte den Abend aber mit einem Mitglied des Teams. Er reagierte ausweichend und wollte Jack nicht verraten, mit wem. Schließlich gestand er, daß er sich mit zwei Frauen treffen wolle. Zuerst mit der Totengräberin. Dann, nach Mitternacht, wenn sie Feierabend hatte, war er mit der Entertainerin verabredet. Jack nahm das kopfschüttelnd zur Kenntnis und meinte, er hoffte, Kid wisse, was er tue. Zum erstenmal kam von Kid keine superkluge Entgegnung, sondern nur ein Achselzukken, als wäre er sich seiner trotz allem nicht ganz so sicher.
    Am zweiten Januar fand eine ganz andere Feier statt. Dom kam herauf, desgleichen Kid und Mattie, und um fünfzehn Uhr standen sie Spalier und applaudierten, als ein Angestellter von Goodwill im Apartment erschien und Jacks Rollstuhl abholte. Er brauchte ihn nicht mehr. »Kommen Sie in einem Monat wieder her«, erklärte Kid dem Mann. »Wir haben hier noch

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