Icarus
Ballast?«
»Sie ist ein Alias-Typ.«
»Sag das noch mal.«
Jack beendete die letzte Wiederholung und ließ das Gewicht fallen. Kid belohnte ihn mit einem anerkennenden Blick und legte zehn weitere Pfund auf.
»Ein Alias-Typ, weißt du. Leute, die … jemand anderer sein wollen. Leute, die so tun müssen, als wären sie etwas Bestimmtes, damit sie mit dem leben können, was sie wirklich sind. Samsonite möchte Courtney Love sein, aber im Augenblick ist sie ein Sängerin-alias-Barkeeperinalias-Kartenlegerin.«
»Sie klingt auch recht abwechslungsreich.«
»Langweilig ist sie ganz bestimmt nicht.«
»Und wird sie jemals Courtney Love sein?«
»Nee«, sagte Kid. »Das ist ja das Problem. Es ist das gleiche wie mit der Entertainerin. Sie lebt mit zu vielen Geheimnissen. Sie kann sich gegenüber niemandem über ihre Vergangenheit äußern, und sie meint, nicht über ihre Gegenwart reden zu dürfen. Sie kann sich noch nicht einmal selbst damit auseinandersetzen. Und sie ist erst recht nicht fähig, über ihre Zukunft nachzudenken und sich bewußt zu machen, welche Entwicklung sie nehmen wird. Deshalb ist sie ein Alias-Typ. Samsonite und der Todesengel ebenfalls. Desgleichen der Irrtum. Sogar die Totengräberin. Sie ist in vieler Hinsicht erheblich besser dran als die anderen, aber sie ist eindeutig ein Alias-Typ. Es ist die einzige wirksame Methode, die Augen vor seinem eigenen Schicksal zu verschließen. Man will einfach nicht wahrhaben, wie man dereinst enden wird. In meiner Welt sind Alias-Typen niemals das, was sie wirklich sein wollen.«
»Meinst du, daß deine Welt sich so sehr von meiner unterscheidet?« fragte Jack leise.
»Und wie.« Kid lächelte jetzt. Es war ein trauriges, wissendes Lächeln. »In meiner Welt sind wir alle Alias-Typen.«
Kid meinte, Jack sollte sich bei dieser Sitzung auf seine Bauchmuskeln konzentrieren und mit einem Satz Crunches anfangen.
»Ich habe darüber nachgedacht, was du gesagt hast«,meinte Jack keuchend, während er die Übungen ausführte. »Über das Team, meine ich.«
»Wen davon?«
»Über alle. Was ich wissen möchte ist: Befriedigt es dich? Reicht es dir aus?«
»Es ist anders, Jack. Nicht dein Stil. Es ist etwas, das du niemals hättest tun können. Für mich ist es das Beste, was ich kriegen kann. Und es macht immerhin Spaß.«
»Warst du jemals verliebt, Kid? Ich meine, mit dem Herzen, nicht im Sinne von scharf auf irgendwen?«
Kid schwieg längere Zeit. So lange, daß Jack schon annahm, er würde die Frage nicht beantworten. Vielleicht hatte er ihn sogar nicht mal gehört.
»Ich sagte, warst du jemals …«
»Doch«, antwortete Kid sehr langsam. »Ich war mal verliebt.« Es dauerte lange, bis er weiterredete, und dann fügte er hinzu: »Ich nenne sie Die Erfüllung.«
»Ein schöner Spitzname.«
Kid lächelte traurig. »Ich habe ihn irgendwo gelesen. In einer Illustrierten. Dort stand, Topeka ist ein Städtchen, Cleveland ist eine Stadt … aber Rom ist eine Erfüllung.«
»Hübsch.«
»Sie war ebenfalls eine Erfüllung. Etwas, das man sich wünscht. Etwas, das man sich erhofft.«
»Was ist mit ihr passiert?«
Kid hustete hinter vorgehaltener Hand, dann machte er einen tiefen Atemzug. Ihm tat die Antwort offensichtlich weh. »Sie hat Schluß gemacht.«
Jack schaffte es, sich so weit zu verdrehen, daß sein rechter Ellenbogen die Außenseite seines linken Knies berührte. »Fast unvorstellbar.«
»Doch. Sie hat es getan.«
»Wegen eines anderen Mannes?«
»Ich habe sie nie danach gefragt«, sagte Kid. »Es war mir auch egal, warum. Für mich zählte nur, daß es vorüber war.«
»Na komm schon. Du warst nicht neugierig? Du hast noch nicht mal daran gedacht, eine Gelegenheit zu suchen, sie umzustimmen?«
»Ich wußte, was los war. Sie mußte für sich eine Entscheidung treffen, und das hat sie getan …« Kid zuckte die Achseln. »Sie war eigentlich gar nicht meine Kragenweite. Es war unten in Maryland, und Fakt ist, daß sie auch ohne mich ein ausgefülltes Leben führte. Die anderen Mitglieder des Teams brauchen mich irgendwie. Aus allen möglichen Gründen – um ihnen dabei zu helfen, etwas zu tun, um ihnen dabei zu helfen, vor irgend etwas zu fliehen, oder um ihnen ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln – aber Die Erfüllung … mit ihr war es anders. Sie dachte , sie brauchte mich, erkannte dann aber, daß dem nicht so war, und ich wußte es, und deshalb brauchte ich sie nicht zu fragen.«
»Rom ist nicht die einzige Erfüllung,
Weitere Kostenlose Bücher