Icarus
richtig weh tut?«, winkte Jack ab, und Kid mußte den Ausdruck in seinen Augen richtig gedeutet haben, denn dieses eine Mal drängte er ihn nicht, weiterzumachen. Er hielt sich zurück und ließ Jack in Ruhe, damit er sich erholen konnte.
Nach einiger Zeit raffte Jack sich zusammen und setzte sich auf. Indem er den Krampf wegmassierte, der sich in seiner Magengrube festgesetzt hatte, wandte er sich zu Kid um und sagte: »Diese Personen … deine Alias-Typen … Dein Team … Daß sie alles tun, um zu kriegen, was sie wollen … ist es das, was sie so gefährlich macht?«
Kid dachte einige Sekunden lang nach. »Nein«, meinte er schließlich. »Was das Team so gefährlich macht, ist das, was sie tun, wenn sie nicht kriegen, was sie wollen.«
Neunzehn
Das Team
S AMSONITE
Wo war sie?
O Scheiße o Scheiße o Scheiße, o Gott, wo zum Teufel war sie …
Oh. Ja.
Sie war zu Hause.
Herr Jesus Christus, sie war in ihrem eigenen Apartment. Wie konnte es geschehen, daß sie das nicht sofort erkannt hatte? Nun ja. Es geschah nicht zum erstenmal. Und wahrscheinlich auch nicht zum letztenmal.
Für einen schrecklichen Moment dachte sie, sie wäre wieder zu Hause in Rußland, nicht zu Hause in Amerika. Das passierte ihr manchmal. Gewöhnlich mitten in der Nacht. Wenn die Schatten erschienen. Schatten erinnerten sie an Moskau. Sie war von dort weggegangen, als sie vierzehn war, aber sie wußte irgendwie, daß Schatten sie immer an Moskau erinnern würden. Sie kam gar nicht auf die Idee, diesen Schatten jemals entfliehen zu können. Dem Mangel an Nahrungsmitteln. Den acht Menschen in einer Wohnung, neben dem die hier sich ausnahm wie der verdammte Buckingham-Palast. Der Kälte und dem grauen Tageslicht und den alten Männern, die als Gegenleistung für Scheißbilligfeuerzeuge einen geblasen haben wollten …
Sie griff nach rechts und tastete auf der Apfelsinenkiste herum, die als Nachttisch diente, und hoffte, noch eine Zigarette zu finden. Ihr Arm streifte etwas Hartes, und sie hörte einen leisen Seufzer, und das Ding neben ihr bewegte sich und …
Herr Jesus! Sie war nicht allein.
Wer zum Teufel war das?
O ja. Sie kannte ihn.
Ja. Sie mochte ihn. Er war nett. Ein netter Typ.
Kid.
Er erledigte etwas für sie. Tat ihr einen Gefallen.
Was zum Teufel würde er tun?
Eins war sicher, er sah gut aus. Hatte einen tollen Körper. O Gott, sie hatten sagenhaften Sex gehabt. Sie erinnerte sich jetzt. Und gleichzeitig drehte er sich auf seine Seite, und sie sah die tiefen Kratzer auf seinem Rücken. Wie waren die denn dorthin gekommen?
O ja. Sie hatte das getan. Und während sie sich daran erinnerte, begann sie zu lachen, doch aus dem Lachen wurde ein Husten, und das schüttelte sie richtig durch, so daß sie die Beine aus dem Bett schwang und in die Küche teils rannte, teils wankte, um sich eine Zigarette anzuzünden, denn ihr war plötzlich eingefallen, daß sie neben der Spüle eine Packung hatte liegenlassen.
Auf dem Weg dorthin stolperte sie über einen ihrer Schuhe, den sie am Abend vorher ausgezogen und beiseite geschleudert hatte. Ihre Augen flackerten kurz, suchten den anderen, aber sie konnte ihn nicht finden. Er mußte irgendwo dort drin sein, entschied sie. Oder nicht? Vielleicht nicht. Nun ja. Wen interessierte das?
Sich gegen die Anrichte lehnend, inhalierte sie tief. Und fühlte sich um einiges besser. Dann schmerzte ihr Fuß, und sie blickte nach unten. Herrgott noch mal, sie blutete. Sie war auf eine Glasscherbe getreten. Wie zum Teufel kamen Glasscherben auf den Küchenfußboden?
Ach ja. Ihr war eine Flasche Wodka hingefallen. Wodka. Zwei weitere russische Dinge, denen sie nicht entfliehen konnte: Wodka und ihr verdammter Akzent.
War das in der vergangenen Nacht passiert? Herrgott im Himmel …
Was war das? Was war das für ein Geräusch?
Ach ja. Sie war nicht allein. Sie hatte es glatt vergessen. Der nette Kerl. Kid …
Sie überlegte, ob sie noch Drogen in der Wohnung hatte, oder ob sie rausgehen und welche besorgen mußte. Das war ein weiterer Vorzug Amerikas. In Amerika konnte man in einen Club gehen und sich einen reichen Typen angeln, der Drogen hatte, und man brauchte nichts anderes zu tun, als mit ihm ins Bett zu gehen. In Moskau mußte man um Drogen betteln . Und dann mußte man trotzdem noch mit dem Typen schlafen.
Gott im Himmel. Ihr Fuß blutete ziemlich heftig.
Sie konnte ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe sehen. Das Küchenfenster ging auf eine triste Gasse hinaus. Eine triste
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