Ice
Himmel, zuvor konnte ich nicht genug davon bekommen, mit Miraja im Sonnenschein durch die Straßen zu gehen. Die Strahlen prickelten auf meiner Haut, ich spürte das Leben.
Den Himmel wollte ich immer sehen, und nun kann ich den Blick nicht davon abwenden. Wie wunderschön. Er hat mir alle Farben gezeigt, jetzt wird er schwärzer und die Nacht bricht herein. Endlich völlige Dunkelheit.
Miraja hat mir Tee und Kekse hingestellt und mir ein Tuch um die Schultern gelegt. Da wir beide fast dieselbe Statur haben, hat sie mir eine kurze Hose und ein T-Shirt von sich gegeben, und ich fühle mich in den bequemen Sachen viel wohler als in meinen Designer-Kostümen. Ich fühle mich frei.
Tief atme ich die warme Nachtluft ein und lausche dem Zirpen der Insekten. Bloß Ice fehlt mir zu meinem Glück.
Nachdem Dr. Lamont aus dem OP kam, wurden Miraja und ich vom Bürgermeister angefunkt, dass wir sofort zum Shuttle kommen sollen.
Mark – wie ich den Arzt nennen darf – hat über das Cockpit eine Verbindung nach White City hergestellt. Ich durfte mit meinem Vater sprechen. Ich habe ihm erklärt, dass es mir gutgehen wird, solange der Senat kooperiert, und dass bereits einer der Warrior, den er geschickt hat, erschossen wurde. »Bitte schicke keine Soldaten mehr nach Resur«, habe ich gesagt. »Die Menschen wollen keinen Krieg, bloß Gerechtigkeit.«
»Wir brauchen Bedenkzeit. Wir melden uns morgen«, hat Vater kühl geantwortet und die Verbindung unterbrochen.
Bedenkzeit? Ich bin entsetzt und enttäuscht gleichermaßen. Ich will ihn nie wieder sehen. Mein Herz rast vor Wut, allein wenn ich mir sein Gesicht vorstelle. Aber Ice vermisse ich sehr.
Ich male mir aus, was er jetzt machen würde, wenn wir beide hier leben würden. Bestimmt würde er nicht neben mir hocken, sondern mit Jax und Crome den Eindringling suchen. Egal – dafür würde er nach seiner Mission zu mir kommen und wir würden uns bis zum Morgengrauen lieben.
»Wenn du noch lange draußen sitzt, werden bald die Moskitos über dich herfallen«, erklärt Miraja lächelnd.
»Was sind Moskitos?« Den Namen habe ich zwar schon einmal irgendwo gelesen, doch ich kann gerade keinen Bezug herstellen.
»Das sind fliegende Insekten, die ihren Rüssel in deine Haut stechen, um dein Blut zu saugen.«
Ich muss wohl ziemlich entsetzt schauen, weil sie sich den Bauch hält vor Lachen. »Keine Angst, sie sind harmlos und winzig klein, aber ihre Stiche können gemein jucken.«
Ach, sie meint Mücken! Der Senat sorgt mit chemischen Mitteln dafür, dass sich unliebsame Insekten gar nicht erst in White City einnisten können. Diese winzigen Krabbler finden immer Wege, in die Kuppel einzudringen. Genau wie Ratten und Katzen, die in der Kanalisation leben.
»Ich muss mich also zwischen dem Himmel und Jucken entscheiden?«, frage ich schmunzelnd und sie nickt. »Okay, dann nehme ich den Himmel. Ich bleib noch ein bisschen draußen, falls das okay ist.«
»Natürlich.« Sie erhebt sich. »Ich werde mich mit dem Funkgerät ins Bett begeben. Sobald sich die Lage ändert, wird Crome mich benachrichtigen. Du kannst dich solange sicher fühlen.«
»Das tue ich.«
»Gute Nacht«, sagt sie und öffnet die Verandatür.
»Gute Nacht. Und Danke, dass ich bei euch wohnen darf.«
Lächelnd sieht Miraja mich an. »Es ist wirklich schön, sich wieder mit dir zu unterhalten.«
Kapitel 8 – Neue Enthüllungen
Minuten später bewundere ich immer noch die Sterne. Oder sind schon Stunden vergangen? Ich weiß es nicht. Als ich mich endlich überwinden kann, ins Haus zu gehen, glaube ich, jemanden meinen Namen flüstern zu hören.
Vor der Verandatür bleibe ich stehen.
»Veronica, hier, beim Zaun«, dringt wieder der Hauch einer Stimme an mein Ohr.
Ich erstarre und blicke zu den Latten. Dort gibt es eine Holztür, die sich langsam öffnet.
»Andrew?«, wispere ich, um Miraja nicht zu wecken. Bestimmt schläft sie schon. »Bist du das?« Ich wüsste nicht, wer sonst herkommen sollte. Was will er so spät?
Ich schleiche durch den Garten auf die Tür im Zaun zu. Kaum habe ich sie erreicht, öffnet sie sich ganz und … »Ice!«
Sofort presst er kurz die Hand auf meinen Mund. »Pst, nicht so laut, sie dürfen mich nicht entdecken.« Als er mich hinter den Zaun zieht, streife ich mit dem Handrücken eine Latte und reiße mir ein wenig die Haut an einem hervorstehenden Nagel auf. Aber das ist nicht schlimm, ich merke es kaum, weil ich so glücklich bin.
»Ich dachte, ich sehe dich
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