Ice
der zahlreichen Grünflächen auf den Dächern mangelt es uns nicht daran. Auch auf meiner Terrasse ist alles bepflanzt. Ich züchte exotische Gewächse, Palmen, Miniorangen, Erdbeeren … In meinem Reich sieht es aus wie in einem Dschungel. Mama hat mir wieder neue Samen mitgegeben, die es hier nicht zu kaufen gibt. Ich freue mich, sie morgen in die Erde zu setzen. Ich habe ja sonst nicht viel Beschäftigung, außer Vater zu politischen Treffen zu begleiten. Sie langweilen mich. Nachdem ich vor zwei Jahren meine schulische Ausbildung beendet habe, ist in meinem Leben nicht mehr viel geschehen. Vormittags lässt mich Vater Berichte in den Zentralrechner eintippen. Meist handeln sie von Ordnungswidrigkeiten oder anderen leichten Verstößen. Das war’s aber auch schon.
Wieso grenzt er mich aus? Wenn ich Senatorin werden soll, muss ich endlich in alles eingeweiht werden. Vertraut er mir nicht? Ich weiß, dass er Angst hat, ich könnte Mama berichten, was hier vorgeht. Dass angeblich hingerichtete Sklaven in Fabriken außerhalb der Stadt arbeiten müssen, um wertvolle Rohstoffe zu produzieren. Oder dass Warrior manchmal unangenehme Aufgaben erledigen müssen und als »Dank« ebenfalls zu den Fabriken versetzt werden, um dort Wache zu schieben. Weil sie dort von den Städten abgeschirmt sind und niemandem berichten können, was sich in White City. Korruption ist in dieser Stadt an der Tagesordnung. Ich weiß nicht, ob ich das ertragen kann. Ich wünschte, ich wäre bei Mama und meiner Stiefschwester, obwohl es in New World City auch nicht anders zugeht. Mittlerweile kenne ich viele geheime Informationen, die nie an die Ohren der Bürger gelangen dürfen. Gewiss gibt es mehr Geheimnisse, und bin mir nicht sicher, ob ich sie überhaupt erfahren möchte.
Ich sitze hier oben in meinem goldenen Käfig, während andere ausgebeutet werden, und fühle mich klein, nutzlos und verloren. Ich hasse mein Leben. Sollte ich es schaffen, in den Senat zu kommen, werde ich mein Bestes geben, um vieles anders zu machen.
Die Brise bringt die Blätter zum Rascheln und verfängt sich unter meinem Negligé; der zarte Stoff streichelt meine Haut. Normalerweise stelle ich mich gerne nackt an die Brüstung, da mich so weit oben niemand sehen kann und sich Vaters Wohnung auf der gegenüberliegenden Seite befindet, doch mit einem Warrior als neuen Nachbarn …
Als ich plötzlich ein Klirren höre, drehe ich den Kopf. Kam das aus meinem Apartment?
Schnell tapse ich über die Fliesen und luge in meine Wohnung. Da höre ich das Geräusch erneut, es kommt von nebenan! Als wäre ein Glas heruntergefallen.
Ich gehe über die Terrasse weiter, bis ich die Fensterfront erreiche, hinter der früher meine Leibwächterin Miraja geschlafen hat. Die Terrassentür ist offen. »Ice? Alles in Ordnung?«
In dem Raum ist es stockdunkel, nur aus dem Badezimmer dringt Licht unter der Schwelle hindurch.
Zögernd bleibe ich stehen. Ich kann nicht einfach in sein Reich eindringen. Andererseits – was, wenn ihm etwas zugestoßen ist?
Er ist ein Warrior, die können auf sich selbst aufpassen!
Wieso ist es jetzt nur so ruhig da drin? »Ice?«
Ach, ich sehe einfach nach!
Ich laufe über den weichen Teppich auf die geschlossene Tür zu und lausche.
Totenstille.
Vorsichtig klopfe ich. »Ist alles okay da drin?«
»Verschwinde!«, ruft er.
Ich zucke zusammen. Warum hört er sich wütend an? Vielleicht hat er sich wehgetan und sein Stolz ist verletzt. »Ich komme rein!« Mutig öffne ich die Tür und schnappe nach Luft.
Ice sitzt auf dem geschlossenen Toilettendeckel. Nackt. Offenbar hat er ebenfalls geduscht, denn sein Haar ist feucht und die Haut schimmert. Ich schlucke und versuche nicht zu lange zwischen seine Beine zu starren. Meine Güte, hat er ein Gerät, obwohl er nicht mal erregt ist.
Als ich mich gerade für meine Indiskretion entschuldigen möchte, bemerke ich die Glassplitter auf dem marmorierten Boden. »Was ist passiert?«
Seine Hand ruht auf einem Knie, Blut tropft auf die Fliesen, aber er scheint es nicht zu registrieren, sondern starrt mich nur wütend an.
»Du bist verletzt!« Behutsam setze ich einen Fuß vor den anderen, damit ich in keine Scherbe trete, bis ich bei ihm angekommen bin. »Zeig mal her.« Ich nehme einfach seine Hand und ziehe den Splitter heraus, der noch darin steckt. Dann reiße ich Klopapier ab, drücke es in seine Hand und tapse zwei vorsichtige Schritte weiter zum Verbandskasten, der neben dem Spiegelschrank
Weitere Kostenlose Bücher