Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens
wenn es doch nicht real war?
»Wirst du jetzt meine Mutter befreien?«, fragte sie.
Der Bär stand hinter ihr. »Sobald wir unsere Eide geschworen haben, werde ich mich darum kümmern«, antwortete er. »Ich kann nicht auf direktem Weg mit den Trollen in Verbindung treten – sie befinden sich jenseits meines Gebietes – , aber ich werde die Botschaft dem Wind mitgeben.«
Cassie konnte ihre Augen nicht von der Eiswand abwenden, die in allen Farben des Regenbogens strahlte. »Eide?«, fragte sie.
»Schwörst du, Cassandra Dasent, bei der Sonne und dem Mond, der See und dem Himmel, der Erde und dem Eis, dass du meine geliebte Frau sein wirst, von diesem Moment an, bis dass deine Seele den Körper verlässt?«
Bis dass meine Seele den Körper verlässt. Bis ich sterbe, meint er. Seine geliebte Frau, bis zum Tod. Cassie schluckte hart. »Machen wir so unsere Abmachung gültig?«
»Ja.«
Es klang so sachlich. Ja, das wird unsere Abmachung gültig machen. Ja, das wird deine Mutter von den Toten zurückbringen.
Cassie holte tief Luft und legte ihre behandschuhte Hand an die Eiswand, die sich solide und real anfühlte. Und plötzlich konnte sie gar nicht mehr anders, als es zu glauben: Ihre Mutter lebte und würde bald gerettet sein. Sie musste nur dieses eine Wort sagen. So einfach war es, so leicht. »Ja, ich schwöre es.«
»Jetzt musst du den Schwur wiederholen«, sagte er.
Das schien schlimmer zu sein. Sie konnte ihn doch nicht wirklich zum Mann nehmen. In ein paar Jahren würde sie einen Wissenschaftler heiraten, irgendeinen Forscher, der die Arktis genauso liebte, wie Cassie selbst sie liebte. Manchmal träumte sie am helllichten Tag davon, wie sie ihre eigene Forschungsstation einrichtete, von der sie und ihr künftiger Ehemann gemeinsam zu Expeditionen aufbrächen. Oder vielleicht würde sie ja auch gar nicht heiraten. Vielleicht würde sie eine alte Dame werden, so wie Gram, und ein Dutzend Verehrer haben. Wie auch immer, die Frau eines sprechenden Bären würde sie jedenfalls nicht werden.
Aber es war ja keine echte Hochzeit. Es waren nur Worte. Sie musste sie nicht ernst meinen, sondern nur sagen, und dann würde ihr das gelingen, was niemandem – ihrem Vater nicht, ihrer Großmutter nicht, niemandem – bis jetzt gelungen war: Sie würde ihre Mutter zurückbringen! »Schwörst du … « Sie stockte. »Wie heißt du?« Sie drehte sich um und sah ihn an. Sein riesiger Kopf war nur Zentimeter von ihrer Schulter entfernt. Instinktiv fuhr sie zurück. Sie konnte das nicht tun. Er war … Sie wusste nicht, was: Magier oder Monster, Raubtier oder Retter.
»Du kannst mich Bär nennen«, sagte er.
»Bär«, wiederholte sie. Sie war im Begriff, ein Wesen zu heiraten, das einfach nur Bär hieß, um eine Frau zu retten, die sie nie gekannt hatte.
Und das war der Knackpunkt:
Cassie hatte ihre Mutter nie gekannt. Sie musste lediglich ein paar Worte sagen und könnte genau das ändern. Ihre Mutter würde wieder leben.
Sie blickte Bär fest in die schwarzen Augen und begann: »Schwörst du, Bär, bei der Sonne und dem Mond … « Wenn das hier vorüber war, würde sie von ihm verlangen, sie gehen zu lassen. Er wollte keine Frau, die ihn nicht wollte. Sie kannte Großmutters Geschichte ganz genau. Er hatte das selbst so zu ihrer Mutter gesagt. Ich will keine Braut, die nur aus Zwang die Meine wird.Er würde Cassies Bitte nicht ablehnen. Sie würde so schnell wieder von ihm geschieden sein, wie sie ihn geheiratet hatte. »… der See und dem Himmel … « Sie konnte sich doch von ihm scheiden lassen, oder? Sie stockte. In ihren Ohren dröhnte es.
»Der Erde und dem Eis«, soufflierte er.
»Der Erde und dem Eis«, sagte Cassie. Es war beinahe getan.
Was bedeutete es, den König der Eisbären zu heiraten? Sie warf einen schnellen Blick hinüber zur Tür – das Kristallgitter schimmerte wie tausend Sterne in einem Netz – , dann sah sie wieder den Bären an.
»Mein geliebter Mann zu sein von diesem Moment an, bis dass deine Seele den Körper verlässt«, ermunterte er sie.
»Und du wirst meine Mutter zurückholen?«, fragte sie.
»Ja«, sagte er. »Unsere Schwüre sind null und nichtig, falls ich versage.«
Cassie schloss die Augen. Sie musste das tun, für sich, für ihr vier Jahre altes Selbst, das aus vollem Herzen daran geglaubt hatte, Mami sei in einer Troll-Festung gefangen. »In Ordnung. Lass es uns zu Ende bringen. … mein geliebter Mann zu sein von diesem Moment an, bis dass deine Seele den
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