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Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens

Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens

Titel: Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Beth Durst
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Körper.«
    Cassie war, als würde sie in einer Zentrifuge umhergewirbelt. Ihr wurde ganz schwindlig von dem funkelnden Licht der Kronleuchter, dem Duft der Gewürze, der Fremdheit dessen, was dieser Eisbär sagte. »Du überträgst Seelen«, wiederholte sie. »Andere wie du – andere Munaqsri – übertragen auch Seelen.«
    »Wir sind die unsichtbaren Helfer des Lebens. Wir sorgen dafür, dass es fortbesteht«, sagte er.
    »Wissenschaftler hätten euch sehen müssen«, widersprach sie. »Wie kann es sein, dass ihr Seelen übertragt, und keiner hat es je bemerkt? Wie kannst du hier in diesem Schloss sein, und keiner hat es je bemerkt? Wie kannst du ein sprechender Bär sein?« Sie verstummte, als sie merkte, wie ihre Stimme brach.
    »Es gab schon immer Menschen, die uns gesehen haben«, sagte er. »Solche Sichtungen von Munaqsri waren die Quelle für viele eurer Geschichten. Hast du jemals von Werwölfen gehört oder von Meerjungfrauen? Von Sedna und dem Froschkönig? Von Horus und Sekhmet?«
    »Das sind alles Geschichten, keine Wissenschaft«, gab Cassie zurück. Genau wie das Märchen vom König der Eisbären und der Tochter des Nordwinds.
    »Du hast recht. Die Geschichten sind nicht ganz richtig«, sagte er. »Sedna zum Beispiel taucht in ihnen als Göttin in Gestalt einer Meerjungfrau auf, in Wahrheit ist sie aber die höchste Munaqsri des Nordpolarmeers. Sie ist das Oberhaupt aller Munaqsri in dieser Region, genauso, wie die Winde die Aufsicht über alle Munaqsri der Luft haben.« Er hielt inne. »Deine Familie hat dir nichts von alldem erklärt?«
    »Es gibt keine Meerjungfrauen«, erwiderte Cassie. »Und ich glaube auch nicht an Magie.« Im selben Moment, da sie diese Worte sagte, wusste sie, dass das lächerlich war. Sie unterhielt sich gerade mit einem Bären, in seinem magischen Schloss, in einem Teil der Arktis, der gar nicht existieren konnte.
    »Wir sind keine Magie«, sagte er. »Wir sind Teil der Natur. Wir sind der Mechanismus, durch den das Leben fortbesteht. Alles, was wir tun – Materie transformieren, uns mit hoher Geschwindigkeit bewegen, bevorstehende Geburten und Tode spüren – , gehört zu den Fähigkeiten, mit denen uns die Natur ausgestattet hat, damit wir in der Lage sind, Seelen von den sterbenden Geschöpfen zu den neugeborenen zu übertragen.«
    »Ich glaube nicht an Seelen«, sagte sie, und versuchte, ihre Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen. »Das Gehirn ist eine Ansammlung chemischer Reaktionen. Komplexe Neurochemie.«
    »Wie du meinst«, sagte er milde.
    Sie wünschte, sie wäre zu Hause, dort, wo sie hingehörte und wo die Dinge einen Sinn ergaben. Oder ergaben sie nur einen Sinn, weil Dad und Gram sie angelogen hatten? Würde die Welt immer noch einen Sinn ergeben, nachdem sie ihre Mutter wiedergetroffen hatte?
    Da sie das Essen nicht anrührte, knurrte der Bär Richtung Tisch, und die Speisen verschwanden. Sie schmolzen und sammelten sich in einer vielfarbigen Wasserpfütze, die sich schließlich in ein fein gewebtes Tischtuch verwandelte, das die ganze Tafel bedeckte. Brot und Suppen verschwanden wie platzende Seifenblasen. Cassie wich zurück.
    »Komm«, sagte der Bär. »Du musst müde sein nach unserer langen Reise. Ich zeige dir dein Schlafzimmer. Vielleicht solltest du dich eine Weile ausruhen. Ich werde unterdessen alle nötigen Vorkehrungen treffen, um deine Mutter zu befreien.«
    Sie konnte sich nicht vorstellen, jetzt hier zu schlafen. Gleichwohl folgte sie dem Bären hinaus aus dem strahlenden Glanz des Bankettsaals in die blaue Stille, tiefer hinein in das Innere des Schlosses. Und wie an eine Rettungsleine klammerte sie sich an seine letzten Worte: Vorkehrungen treffen, um deine Mutter zu befreien.
    Geräuschlos gingen die Bärenpfoten über das Eis. Stille umfing sie, als der Gang sich verengte und das Schloss dunkler wurde. In den Schatten zeichnete sich der Umriss ihres Begleiters ab. Riesig, unwirklich.
    Kerzenlicht tanzte über Tiergesichter auf vergoldeten Wänden. Ausdruckslose, eisige Augen starrten Cassie an. Sie wich vor ihnen zurück. Ihre sämtlichen Instinkte rieten ihr lautstark, ins Licht zurückzulaufen. Tiefblaues Eis umgab sie von allen Seiten. Sie fühlte sich wie in einem Grab. Ob es ihrer Mutter in der Troll-Festung genauso ging? Sie stürzte zu Boden, und Trolle nahmen sie gefangen. Cassie versuchte, sich ihre Mutter in einer Festung vorzustellen. Es gelang ihr nicht. Wie war ihr Leben vorher gewesen? Wie war ihre Mutter gewesen?

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