Ice Ship - Tödliche Fracht
losmarschierten, rief er Garza zu: »Ich will niemanden hier draußen haben, bis auf die Wachen. Teilen Sie die Posten so ein, dass sie sich alle vier Stunden ablösen.«
Isla Desolación
22.40 Uhr
Adolfo Timmer wartete reglos hinter einer Schneewehe. Er lag schon so lange hier, dass der Sturm ihn mit Schnee bedeckt hatte. Vor ihm, etwas unterhalb, konnte er einen schwachen, hin und her wandernden Lichtschein ausmachen. Inzwischen war es stockdunkle Nacht, die Arbeiten waren anscheinend eingestellt worden, die Arbeiter hatten vermutlich in den Hütten Schutz gesucht. Genau die Situation, auf die er gewartet hatte, um selbst aktiv zu werden. Timmer stemmte sich hoch. Er konnte es sich sparen, den Schnee von der Kleidung zu klopfen, das besorgte schon der Wind, der immer noch mit unverminderter Stärke wehte. Überhaupt erwies sich der Sturm nachträglich als zuverlässiger Verbündeter: Er hatte aus dem Schnee eine Dünenlandschaft mit hüfthohen Kämmen und tiefen Furchen geformt, die ideale Deckung. Im Schutz der Dünen ging er langsam auf die planierte Mulde zu, an ihrem Rand machte er Halt und kauerte sich hinter eine Schneewehe. Irgendwo vor ihm fiel gedämpftes Licht in das offene Gelände. Er reckte den Kopf und sah, dass es durch die Ritzen einer etwa sieben, acht Meter entfernten schäbigen Bretterbude drang. Auf der gegenüberliegenden Seite der planierten Mulde reihten sich Hütten aneinander, die kleinen Fenster starrten wie viereckige gelbe Augen in die Dunkelheit. Daneben waren die Umrisse einiger Container und abgestellter Maschinen zu erkennen. Er kniff die Augen zusammen. Die Sickerbecken und Abwassergräben – das hatte er schon feststellen können – waren eine Finte; sie sollten nur von etwas anderem ablenken. Aber wovon? Timmer fuhr zusammen. Hinter der Bretterbude war ein Mann aufgetaucht. Er drückte die Tür auf, warf einen Blick nach innen, machte die Tür wieder zu und setzte seine Runde fort, am Rand der Mulde entlang. Zum Schutz gegen den Wind und das Schneegestöber zog er den Kopf zwischen die Schultern und rieb fröstelnd die Hände aneinander. Timmer beobachtete ihn aufmerksam. Der Mann vertrat sich mit Sicherheit nicht nur die Füße, weil er im Freien eine Zigarette rauchen wollte, so viel stand fest. Er war zur Wache eingeteilt und absolvierte seinen Rundgang. Doch was gab es auf einem öden Stück Land mit einer armseligen Bretterbude zu bewachen?
Timmer kroch langsam weiter auf die Bretterbude zu, bis er abermals hinter einer Schneewehe Deckung nehmen konnte. Der Mann kam zurück, ging zur Hütte, stapfte sich die Füße warm und entfernte sich wieder. Er war allein. Das heißt, falls in der Bretterbude keine zweite Wache postiert war. Timmer robbte um die Schneewehe herum und auf den Schuppen zu, sorgsam darauf bedacht, möglichst schnell ein Stück Holzwand zwischen sich und dem einsamen Posten zu haben. Comandante Vallenar hatte ihm auf der Almirante Ramirez ausdrücklich eingeschärft, kein unnötiges Risiko einzugehen. Seien Sie vorsichtig, Señor Timmer, ich möchte Sie heil zurückhaben ... Er hatte keine Ahnung, ob der Posten bewaffnet war, ging jedoch sicherheitshalber davon aus. Er kauerte sich ins Halbdunkel neben der Bretterbude und langte in die Tasche seines Schneeanzugs. Als die Hand wieder auftauchte, hielt sie den Griff eines Messers umklammert; er zog es aus der Scheide, um sich zu vergewissern, dass es nicht festgefroren war. Bei diesen Temperaturen musste man mit allem rechnen. Er fuhr mit dem Daumen prüfend über die Klinge – eiskalt und rasiermesserscharf. Ja, Comandante, dachte er, ich werde sehr, sehr vorsichtig sein. Er schloss die Hand fest um das Messer. Es machte ihm nichts, dass es sich schmerzhaft in die Fingerkuppen grub. Ihm war nur wichtig, die Klinge schön warm zu halten, damit sie sich glatt und geschmeidig ins Fleisch bohrte.
Er wartete ab, bis der Sturm wieder stärker wurde und der Wind heulend um die nackten Holzwände des Schuppens fegte. Um besser hören zu können, schob er die Kapuze zurück. Und da vernahm er es ganz deutlich: das knirschende Geräusch von Schritten, die durch den Schnee auf ihn zu kamen. Wieder näherte sich eine Gestalt der Bretterbude, kaum zu erkennen im schwachen Licht und bei dem stiebenden Schnee. Timmer schmiegte sich dicht an die Holzwand. Schwere Atemzüge – und gleich darauf ein hohles Klatschen, als der Mann mehrmals die Arme um sich schlang, um sich ein wenig aufzuwärmen. Timmer setzte mit
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