Ice Ship - Tödliche Fracht
die Bransfield-Riffs auf.« Irgendein statisches Störgeräusch, dann war die Stimme des Funkers wieder da. »Viel Glück, Rolvaag. Und möge Gott mit Ihnen sein.« »Danke, South Georgia.«
Rolvaag
18.40 Uhr
Als die Rolvaag aus dem Windschatten der Eisinseln geriet, trieb sie der Wind erbarmungslos ins Auge des Sturms. Innerhalb von Sekunden waren alle auf der Brücke von gefrierender Gischt durchnässt. Britton wusste, dass das Schiff ohne Antrieb dem Sturm auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert war: ein entsetzliches Gefühl von Hilflosigkeit. Der Sturm nahm von Minute zu Minute zu, bis er schließlich eine Stärke erreichte, die sie nicht für möglich gehalten hatte. Der Mond war von geballten Wolken verdeckt, schon wenige Meter vor der Brücke war nichts mehr zu sehen. Und der Sturm dachte offensichtlich nicht daran, draußen Halt zu machen, sondern drang mit einem Gischtschwall nach dem anderen und dünnen, messerscharfen Eissplittern bis zu ihnen vor. Am schlimmsten fand Britton das unaufhörliche, entnervende Heulen, das aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien. Die Temperatur auf der Brücke war auf sechzehn Grad unter Null gesunken, sie spürte, dass sich in ihrem Haar Eis kristallisierte. Sie ließ sich zwar weiter regelmäßig Meldungen über den Zustand des Schiffes, die Position und den Kurs geben, konnte aber ohne Steuerung wenig damit anfangen. Das Gefühl, zu ohnmächtigem Abwarten verurteilt zu sein, war ihr fast unerträglich. Nach den Rollbewegungen des Schiffes zu schließen, mussten die Wellen inzwischen über dreißig Meter hoch sein; sie trafen die Rolvaag mit der Wucht eines Güterzugs. Es gab nichts Gnadenloseres auf diesem Globus als die »Heulenden Sechziger«. Das Einzige, was die Rolvaag bis jetzt gerettet hatte, war ihre Größe. Auf dem Kamm jeder Welle fingen die Aufbauten mit leisem Wimmern an zu vibrieren, als ahnten sie, dass die Gewalt der See das Schiff zu verschlingen
drohte. Wenn der Tanker sich schräg legte, konnten sie den Neigungswinkel an den Anzeigen am Kommandostand ablesen: zehn, zwanzig, manchmal sogar fünfundzwanzig Grad. Der schlimmste Augenblick war, wenn Britton darauf wartete, dass sich das Schiff wieder aufrichtete. Bisher gelang ihm das jedes Mal: anfangs zögernd, auf dem letzten Drittel sehr schnell, und am Schluss kippte es kurz zur anderen Seite weg – ein Prozess, der sich in einer grausamen Sequenz ständig wiederholte. Und es gab nichts, was sie tun konnte, sie war als Kapitän genauso hilflos wie alle anderen auch. Angestrengt starrte sie auf das von Scheinwerfern ausgeleuchtete Hauptdeck. Die meisten Container und mehrere Davits waren vom Sturm aus der Verankerung gerissen und über Bord gespült worden; die automatischen Ladeklappen hatten dem Sturm und der Gischt bisher getrotzt. Durch das Einschlagsloch beim Ladepfosten drang weiter Wasser in den Rumpf ein, aber noch wurden die Bilgenpumpen damit fertig. Die Rolvaag war ein solide gebautes, hochseetüchtiges Schiff, sie hätte sich auch in noch schwererer See behaupten können, wäre da nicht dieser tonnenschwere Gesteinsklumpen in ihrem Bauch gewesen. Gegen sieben Uhr hatte der Sturm Stärke fünfzehn erreicht, mit Böen bis zu einhundert Knoten. Wenn das Schiff jetzt auf einen Wellenkamm gehoben wurde, war die Sogwirkung des Windes so stark, dass sich alle irgendwo festklammern mussten, um nicht durch die leeren Fenster in die Nacht hinausgezerrt zu werden. Britton wusste, dass kein Sturm auf Dauer mit solcher Gewalt toben konnte, sie hoffte inbrünstig, dass er bald in sich zusammenbrechen würde. Es musste einfach so sein. Sooft das Schiff auf den Kamm eines Wellenbergs taumelte, konnte sie – etwa acht Seemeilen vor sich – ein paar Sekunden eine Gruppe kleiner Eisberge ausmachen. Dazwischen lag eine Eisinsel, zwar kleiner als die beiden, durch deren Fahrrinne sie sich ihren Weg gebahnt hatten, aber etliche Kilometer maß sie der Länge nach bestimmt. Einerseits würde der Wellengang abnehmen, je tiefer sie ins Eis vorstießen, andererseits bekamen sie es dann natürlich mit den Gefahren der Eisregion zu tun. Vorerst zeigte das Sonar allerdings klares Meer an. Sie befanden sich etwa hundertfünfzig Seemeilen nordwestlich der südlichen Shetland-Inseln. Hinter den kahlen Felsen, die wie riesige Raubtierzähne aus der arktischen See aufragten und von gefährlichen Riffs und reißenden Strömungen umgeben waren, lag die Bransfield-Straße, und dahinter begann das ewige Eis. Je
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