Ice Ship - Tödliche Fracht
Eisbrocken und Splitter von den Klippen gelöst. Sie wurden mit solcher Wucht nach oben geschleudert, dass sie höher aufstiegen als die vier gen Westen driftenden Rauchwolken, die von den Phosphorgranaten übrig geblieben waren. Das Echo des Lärms verebbte – einen Atemzug lang herrschte Stille, dann schien sich die Steilwand der Eisinsel seitlich zu verschieben. Das Antlitz der Klippen über der Ramirez verzerrte sich, eine Spalte brach auf und riss einen Teil der Felsen mit sich. Britton sah, wie ein gigantisches, gut dreißig Meter hohes Stück Eis von der Insel brach und sich langsam nach unten neigte, bevor es – wie in Zeitlupe – in die Tiefe stürzte. Dabei zerbarst es in unzählige Teile: ein bizarres und zugleich majestätisches Eisballett. Als die Bruchstücke in die See eintauchten, stieg durch das Gewicht der Eismassen eine gewaltige Wassersäule auf. Eine Kakophonie schrecklichen, immer lauter anschwellenden Lärms gellte Britton in den Ohren, begleitet von einem faszinierenden Farbspiel, als sich in das anfängliche Schwarz der Wassersäule plötzlich Grün und Weiß mischten. Und die Same stieg höher und höher, brach kurz in sich zusammen, um im nächsten Augenblick abermals in die Luft zu schießen. Aus dem Meer tauchte, von der eigenen Wucht nach oben getrieben, ein riesiger Eisbrocken auf, anscheinend der Kern der abgebrochenen Klippe. Er trieb eine gewaltige Welle vor sich her, genau auf die Breitseite der Ramirez zu. Britton hörte die Dieselmotoren röhrend aufheulen, als der Zerstörer ein Ausweichmanöver versuchte. Aber es war zu spät, die Welle stürzte schon über ihm nieder. Die Ramirez gierte, wurde steil nach oben geschleudert und krängte so stark, dass das Rostrot der Bugplatten sichtbar wurde. Sekundenlang schien das Schiff wie an einem unsichtbaren Kran in der Luft zu hängen, bis es, als die riesige Welle gischtend darüber hinwegrollte, zur Steuerbordseite kippte und beide Masten sich fast horizontal auf das Meer zu neigten. Britton schlug das Herz bis zum Hals. Immer noch sah es aus, als könne der Zerstörer sich nicht entscheiden, ob er sich aufrichten oder kentern wollte. Plötzlich schien ein Ruck durch ihn zu gehen – und dann bäumte die Ramirez sich auf. Britton stockte der Atem. Es hat nichts gebracht, dachte sie. O Gott, es hat nicht geklappt. Die Aufwärtsbewegung verlangsamte sich, als brauche der Zerstörer eine Atempause, dann senkte sich der Kiel ins Wasser. Aber auf einmal lag ein merkwürdiges Geräusch in der Luft, wie lautes Fauchen. Es kam aus den Aufbauten der Ramirez, und Sekundenbruchteile später schossen aus dem Rumpf dünne, scharfe Wasserstrahlen in alle Richtungen. Die Ramirez kippte um, der schmale Kiel rollte schwerfällig gen Himmel. Wieder ein Fauchen, noch lauter als zuvor, ein Gemisch aus Wasser, Schaum und blubbernden Luftblasen entwich dem Rumpf. Und dann, ohne dass ein größerer Strudel zu sehen war, verschwand die Ramirez im Meer. Das ganze Spektakel hatte nicht mal neunzig Sekunden gedauert. Britton sah die riesige Welle auf die Rolvaag zu rasen, doch noch auf halbem Wege zerfloss sie in die Breite und schwächte sich ab. »Ja, weiter so«, murmelte Glinn. Die Welle hob den Tanker hoch und drückte ihn hart zur Seite, bis sie sich schließlich verlief. Britton zog ihre Hand unter der von Glinn weg und hielt sich das Fernglas vor die Augen. Sie konnte kaum glauben, dass es den Zerstörer nicht mehr gab. Nichts war von ihm übrig geblieben – weder Mensch noch Rettungsboot oder Schwimmweste, nicht einmal eine nach oben geschwemmte leere Flasche. Die Almirante Ramirez war spurlos verschwunden. Sie merkte, dass Glinn zur Eisinsel hinüberstarrte, und folgte seinem Blick. Am Rand des Eisplateaus waren vier kleine dunkle Punkte auszumachen: Männer in Taucheranzügen, wie sie durch das Fernglas erkennen konnte. Sie hielten Fackeln in der Hand und reckten mit geballten Fäusten triumphierend die Arme in die Luft. Einer nach dem anderen warf seine Fackel ins Meer, wo sie mit leisem Zischen erlosch. Glinn griff zu seinem Funkgerät. »Operation erfolgreich beendet. Fertig machen zur Aufnahme des Bootes«, sagte er leise.
Rolvaag
17.40 Uhr
m ersten Augenblick brachte Palmer Lloyd kein Wort her
aus. Er war sich seines bevorstehenden Todes so sicher gewesen, dass es ihm wie ein Wunder vorkam, jetzt hier auf der Brücke zu stehen, zu leben und zu atmen. Schließlich fragte er Glinn: »Warum haben Sie mir nichts davon gesagt?« »Die
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