Ice Ship - Tödliche Fracht
einer verzweifelten Lage wären, hätten Sie im November letzten Jahres das Kommando über diesen verlotterten panamesischen Dampfer übernommen. Oder auf dem Frachter angeheuert, der unter liberischer Flagge mit so brisanter Ladung unterwegs war, dass die Wachen mit scharfen Waffen herumliefen.« Glinn sah, dass ihre Augen sich leicht verengten. »Wissen Sie, Captain Britton, in meiner speziellen Tätigkeit habe ich mir angewöhnt, immer die Ursache für ein Versagen zu analysieren.« »Und um welche TätiGgkeit handelt es sich genau, Mr. Glinn?« »Um die Lösung technischer Probleme. Aufgrund einer unserer Analysen wissen wir, dass bei Menschen, die einmal versagt haben, die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Versagens um neunzig Prozent abnimmt.« Und ich bin quasi der lebende Beweis für die Richtigkeit dieser Theorie. Den letzten Satz verschluckte er, obwohl er ihm schon auf der Zunge gelegen hatte. Was mochte ihn dazu verleitet haben, um ein Haar das Geheimnis preiszugeben, das er gewöhnlich wie seinen Augapfel hütete? Eine Frage, über die er irgendwann später noch einmal gründlich nachdenken musste. »Wir haben alles, was für oder gegen Sie spricht, sehr sorgfältig gegeneinander abgewogen. Sie waren einmal eine hervorragende Schiffsführerin mit einem Alkoholproblem. Nun sind Sie einfach eine hervorragende Schiffsfiihrerin. Und zwar eine, auf deren Diskretion ich mich verlassen kann.« »Diskretion?«, wiederholte sie, wobei ihr Tonfall eine Spur Sarkasmus ahnen ließ. »Wenn Sie den Posten annehmen, werde ich Ihnen mehr sagen. Fürs Erste will ich mich auf folgende Informationen beschränken: Es wird eine lange Fahrt werden, möglicherweise bis zu drei Monate. Sie muss unter absoluter Geheimhaltung durchgeführt werden. Das Ziel liegt in den südlichen Breitengraden, einer Gegend, in der Sie sich gut auskennen. Der finanzielle Hintergrund ist absolut solide, Sie können sich eine handverlesene Crew zusammensuchen, vorausgesetzt, dass die Männer bei unserem Sicherheitscheck nicht durchfallen. Alle Offiziere und die Mannschaft erhalten das Dreifache der normalen Heuer.« Britton runzelte die Stirn. »Wenn Sie wissen, dass ich bei den Liberianern abgelehnt habe, dann ist Ihnen auch bekannt, dass ich keine Drogen schmuggle, keine Kriegswaffen oder Guerillas lade und auch sonst nichts Gesetzwidriges tue, Mr. Glinn.« »Bei dieser Mission ist alles legal, dennoch stellt sie eine einmalige Herausforderung dar, deshalb brauchen wir eine motivierte Crew. Und da ist noch etwas: Wenn die Mission erfolgreich verläuft – oder sagen wir lieber: sobald sie erfolgreich beendet ist, denn dafür trage ich Sorge –, wird sie in den Medien Furore machen. Mir liegt nichts an Publicity, aber für Sie könnte sie sich in mehrfacher Hinsicht als nützlich erweisen. Sie kommen wieder ins Geschäft. Und das Ganze fällt sicher auch beim Sorgerechtsverfahren für Ihr Kind ins Gewicht. Vielleicht erübrigen sich dann die leidigen Wochenendbesuche.« Mit der letzten Bemerkung erreichte Glinn genau das, was er sich erhofft hatte. Britton wandte sich halb um, als wolle sie rasch noch einen Blick auf das kleine georgianische Haus werfen, das nun schon viele Meilen hinter ihnen lag.
Dann sah sie Glinn an und sagte: »Heute Morgen bin ich im Zug auf das Gedicht ›Atlantis‹ von W. H. Auden gestoßen. Die letzte Strophe lautet ungefähr so:
Und all die guten Geister meines Hauses,
Sie rufen Ach und Weh
Und machen mir am Ende dennoch Mut:
Fass Mut, leb wohl und stich in See.«
Sie lächelte. Wenn Glinn kurz zu ihr hingesehen hätte, wäre ihm aufgefallen, dass es ein ausnehmend reizendes Lächeln war.
Port Elizabeth
17 Juni, 10.00 Uhr
Palmer Lloyd blieb vor der Tür der riesigen aluminiumverkleideten Werkhalle stehen. Ein paar Meter entfernt lehnte sein Fahrer, in ein Boulevardblatt vertieft, an der Wagentür. Über die trocken gelegten Sümpfe und die alten Lagerhallen hinweg drang das unablässige Dröhnen und Rauschen des Verkehrs auf der New-Jersey-Schnellstraße heran. Vor ihm, direkt hinter der Marsh Street, flimmerten die Hafendocks im heißen Sommerlicht. An den Kais hatten die Stahlkolosse von Öl- und Gastankern festgemacht, die unzähligen kleinen Fischerboote waren längst auf Liegeplätze weiter oben ausgewichen. Nicht weit von ihm wurde ein Container-Schiff beladen, der Kranausleger schien mit seinem matronenhaften Nicken beruhigend auf die winzig kleinen Gestalten tief unter ihm
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