Ice Ship - Tödliche Fracht
von der Vibration spürte er nichts. In der Ferne blinkte das Leuchtfeuer von Cape May – einmal kurz, einmal lang. Nachdem Glinn – weiß der Himmel wie – die Aushändigung der Schiffspapiere erreicht hatte, waren sie im Schutz der Dunkelheit aus Port Elizabeth ausgelaufen – heimlich und verstohlen wie üblich bei dieser Expedition. Bald würden sie die Hauptschifffahrtsstraßen erreichen und dann, sobald der kontinentale Küstensockel hinter ihnen lag, Richtung Süden abdrehen. Und wenn alles wie geplant klappte, würden sie in fünf Wochen das Leuchtfeuer von Cape May wiedersehen. Er versuchte sich vorzustellen, was sie erwartete, wenn – nein, falls sie die Reise erfolgreich abschließen konnten: wütende Proteste, Jubel über den gelungenen Coup und vielleicht seine persönliche Rehabilitierung. Doch dann lächelte er zynisch. Im Leben endeten Geschichten anders als in Märchen. Er sah sich viel eher – mit mehr Geld in den Taschen und ein wenig dicklich nach der Bordkost – wieder durch die Kalahari ziehen, um die verscheuchten Buschmänner aufzuspüren und die Suche nach dem Okawango-Meteoriten fortzusetzen. Und nichts von dem, was er Masangkay angetan hatte, war vergeben und vergessen. Jetzt, nach dem Tod seines alten Freundes und Partners, erst recht nicht. Als er so am Heck stand und den Blick in die Ferne schweifen ließ, nahm er plötzlich einen würzigen Geruch wahr, der mit der Meeresluft zu ihm herüberwehte: Tabak. Und als er sich umdrehte, sah er, dass er nicht allein war. Am anderen Ende des Peildecks machte er einen kleinen roten Punkt aus. Schau an, noch jemand, der die Sternennacht genießen wollte. Dann kam der rote Fleck näher und entpuppte sich zu McFarlanes Überraschung als Rachel Amira, Glinns mathematischem Wunderkind und neuerdings angeblich McFarlanes Assistentin. Zwischen Zeige- und Mittelfinger klemmten die letzten Zentimeter einer bauchigen Zigarre. McFarlane seufzte im Stillen. Sogar bis hierhin spionierte ihm das arrogante Weibsstück nach. »Ciao, Boss. Irgendwelche Aufträge für mich?« McFarlane schluckte seinen Arger stumm hinunter. »Boss«, sagte sie zu ihm – der reinste Spott und Hohn. Dabei schien ihr die Abkommandierung selber nicht zu passen. Was hatte Glinn sich bloß dabei gedacht? »Drei Stunden auf See, und mir langt’s schon.« Sie wedelte mit der Zigarre. »Wollen Sie eine?« »Nein, danke. Ich will mir den Appetit aufs Dinner nicht verderben.« »Obwohl es aus der Kombüse kommt? Sie müssen Masochist sein.« Sie lehnte sich neben ihm an die Reling und schnaufte gelangweilt. »Dieses Schiff macht mich rammdösig.« »Warum das?« »Es ist einfach roboterhaft kalt. Bei einem Schiff denke ich an muskulöse Burschen, die an barsche Befehle und hartes Zupacken gewohnt sind. Aber hier?« Sie deutete mit dem Daumen über die Schulter ins Leere. »Ein Zweihundertfünfzig-Meter-Deck, und absolut nichts rührt sich. Nichts. Ein Geisterschiff, auf dem alles von Computern erledigt wird.« Wo sie Recht hat, hat sie Recht, dachte McFarlane. Die Rolvaag konnte zwar nicht mit Supertankern mithalten, aber riesig war sie schon. Und trotzdem kam sie mit einer Crew von höchstens hundert Leuten aus, die Spezialisten der EES schon mitgerechnet. Auf gerade einmal halb so großen Kreuzfahrtschiffen waren es zweitausend. »Und es ist so verdammt groß«, hörte er sie sagen, als habe sie seine Gedanken gelesen. »Das müssen Sie Glinn erzählen. Lloyd wäre bestimmt froh gewesen, für weniger Schiff weniger Geld auszugeben.« »Wussten Sie, dass diese Tanker die ersten von Menschenhand geschaffenen Schiffe sind, die wegen ihrer Größe von der Erdrotation beeinflusst werden?«
»Nein, keine Ahnung.« Rachel Amira war offenbar eine Frau, die sich gern reden hörte. »Ja, es ist aber so. Die Schubkraft der Motoren muss leicht erhöht werden, um den Coriolis-Effekt auszugleichen. Und ehe Sie so einen Koloss zum Stoppen bringen, sind Sie schon gut und gern drei Seemeilen weiter.« »Sie sind wohl ein wandelndes Lehrbuch der Tankertechnik.« Amira bliesM einen Rauchkringel ins Dunkel. »Cocktail-Geplauder ist meine Stärke.« »Aha. Haben Sie noch andere Stärken?« Sie lachte. »Man sagt mir eine gewisse mathematische Begabung nach.« »Ja, das habe ich schon gehört.« Er wandte sich ab und hoffte, dass sie den Wink verstand. Ein Moment lang herrschte tatsächlich wohltuende Stille, dann rief sie: »Hey, wissen Sie was, Boss?« »Ich würde es sehr schätzen, wenn Sie mich
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