Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
Vom Netzwerk:
irrsinnige Krankheit dahinter heißt: Großmannssucht. Raus aus der Enge, rein ins Big Business. Wer nur Frankfurt als Standort seines Unternehmens angibt, läuft Gefahr, dass man ihn in Verbindung mit Würstchen, verstopften Autobahnkreuzen oder mittelmäßig kickenden Fußballvereinen bringt. Wer sich dagegen »Frankfurt/New York« auf die Flagge schreibt, sprengt die enge Weste der Nationalität und breitet sich mit einem Schlag über den großen Teich und in den Weltmarkt aus.
    Nur eines fällt auf: Die echten Weltmarktführer aus Deutschland, die Hidden Champions des Mittelstands, residieren hinter den Sieben Bergen, in Orten mit so klangvollen Namen wie Nistetal, Neukirch und Wedemark. Diese Firmen haben verstanden, dass ihr Erfolg nicht vom Firmensitz, sondern von der Qualität der Produkte und von der Zufriedenheit der Kunden abhängt. Wie der große Philosoph Immanuel Kant in seinem provinziellen Königsberg, das er nie verließ, weltbewegende Gedanken entwickelte, so entwickeln zahlreiche deutsche Firmen in der Provinz weltbewegende Produkte.
    Eine Analyse der Nürnberger Unternehmensberatung Weissman & Cie. hat in Deutschland 530 Hidden Champions nachgewiesen. Mehr als die Hälfte dieser mittelständischen Unternehmen ist in der Provinz zu Hause, in Städten mit weniger als 50000 Einwohnern. Die größte Dichte an Weltmarkführern, mit 13 auf eine Million Einwohner, gibt es in Bayern und Baden-Württemberg. Weissman & Cie. meint: »In der Provinz gelten die Unternehmen etwas, sie bekommen die guten und gleichzeitig loyalen Leute.« 24 Dagegen gingen sie in der Großstadt leicht unter.
    Viele Erfolgsfirmen könnten aus voller Kehle einen Song von Udo Jürgens mitsingen, den die Möchtegern-Erfolgreichen nicht einmal flüstern würden: »Ich war noch niemals in New York«.
    § 20 Irrenhaus-Ordnung: Wie aus einem Hund ein Zebra wird, wenn er über einen Zebrastreifen läuft, so wird aus einer Provinzladen ein Weltkonzern, wenn er in eine Weltstadt zieht.
    Die Fortbildungslüge
    Petra Siegel (34) war von der Philosophie ihres neuen Arbeitgebers, eines Herstellers von Naturkosmetik, schwer beeindruckt: »Andere reden von der Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. Wir praktizieren sie. Schnell und individuell.« So (ähnlich) stand es auf der Homepage. Und der Personalchef hatte im Vorstellungsgespräch gesagt: »Die Entwicklung unserer Mitarbeiter bedeutet uns mehr als die Entwicklung unserer Produkte. Denn die Produkte verkaufen wir – doch die Mitarbeiter bleiben.«
    Wunderbar! Ein solches Klima, in dem sie wachsen konnte, war für die Biologin Petra Siegel genau das Richtige. Bei ihrem letzten Arbeitgeber hatte sie gestört, dass Fortbildungen nur genehmigt wurden, wenn den Mitarbeitern das Wasser eines Problems schon bis zum Hals stand. Und was hatte es eigentlich mit persönlicher Entwicklung zu tun, wenn man in einem bestimmten Computerprogramm geschult wurde? Diese »Fortbildungen« waren nur ein Besen, den man den Mitarbeitern in die Hand drückte, um Probleme vom Hof zu kehren – und der danach unnütz war.
    Dabei legte Petra Siegel auf ihre persönliche Entwicklung größten Wert. Eigentlich hatte sie ihr Studium der Ernährungswissenschaften durch eine Promotion krönen wollen. Doch eine frühe Familiengründung ging mit dem Zwang zum Geldverdienen einher. Darum war sie in die Kosmetikindustrie eingestiegen und hatte sich zur gutbezahlten Produktmanagerin hochgearbeitet.
    In der neuen Firma hoffte sie, an ihren Fortbildungen wachsen zu können. Auf mittlere Sicht strebte sie eine Führungsposition an, das hatte sie im Vorstellungsgespräch offen gesagt. Wäre es da nicht sinnvoll, in einem berufsbegleitenden Seminar die Grundlagen der Menschenführung zu erlernen?
    Am Ende ihrer Probezeit schlug sie das vor. Ihr Chef verzog sein Gesicht: »Ich glaube, Sie haben da was falsch verstanden. Es stimmt zwar, dass wir für Fortbildungen offen sind. Aber wir wollen einen unmittelbaren Bezug zu Ihrer Arbeit sehen. Und im Moment sind Sie Produktmanagerin, keine Führungskraft.«
    »Aber wäre es nicht klug, über die jetzige Position hinauszuschauen? Im Vorstellungsgespräch hieß es doch, ein Aufstieg in den nächsten Jahren sei möglich.«
    »Richtig. Und deshalb sprechen wir über Führungs-Fortbildungen auch dann: in den nächsten Jahren.«
    Petra Siegel schluckte und zog sich zurück. Ein paar Monate später wagte sie einen zweiten Anlauf. Diesmal hatte sie eine interessante Schulung für

Weitere Kostenlose Bücher