Ich arbeite in einem Irrenhaus
Verbrechen begeht, hat ein Verbrechen begangen – das waren immer einzelne Mitarbeiter.
4.
Image-Lügen: Ach wie gut,
dass niemand weiß …
Wenn die Konkurrenz schneller schrumpft
als wir, könnte man doch auch sagen,
dass wir wachsen …
A lle Irrenhäuser betreiben dasselbe Handwerk: Fassadenbau. Die Unseriösen wollen seriös wirken, die Erfolglosen erfolgreich, die Durchgeknallten vernünftig. Hier erfahren Sie …
• wie Visionen als Ersatzdrogen fürs Handeln missbraucht werden,
• weshalb erfolglose Firmen einen Briefkasten in New York aufhängen,
• warum »Personalabbau« besser als »Selbstmord« klingt, aber oft dasselbe bedeutet
• und wie verfeindete Manager beim Outdoor-Seminar in der Steilwand plötzlich gute Freunde wurden.
Ha, ha, ha – die Vision
Ein Komiker auf der Betriebsfeier hat’s gut: Wenn ihm die Witze ausgehen, muss er nur die Firmenvision zitieren und dabei ein ernstes Gesicht machen – schon hat er die Lacher auf seiner Seite. Denn die meisten Leitsätze der Firmen sind Light sätze. Oder sogar Leid sätze. Die Kluft zwischen Worten und Taten ist so breit wie der Grand Canyon.
Wie kommt eine Firma zu ihrer Vision? Schreibt sie das, wonach sie strebt, in anschaulichen Worten auf? Hat sie den Mut, das Bild eines sinnvollen Traumes auszumalen? Klingen die heutigen Visionen noch wie jene des Autopioniers Henry Ford:
»Ich werde ein Automobil für das breite Volk bauen … Es wird so wenig kosten, dass niemand, dessen Lohntüte gut gefüllt ist, darauf verzichten muss, mit seiner Familie den Segen von vergnüglichen Stunden in Gottes weitem Land zu genießen … Wenn ich damit fertig bin, wird jedermann in der Lage sein, sich dieses Auto zu leisten, und jedermann wird eines besitzen. Das Pferd wird von unseren Straßen verschwunden sein, das Automobil wird eine Selbstverständlichkeit sein, und wir werden einer großen Zahl von Menschen eine gut bezahlte Beschäftigung bieten.« 22
Schnee von gestern. Die heutigen Visionen scheinen alle demselben Textbaustein-Kasten zu entstammen. Da wimmelt es von Modevokabeln wie »innovativ« und »kostengünstig«, »global« und »kundenorientiert«. Da wird in hochtrabenden Worten erschreckend wenig gesagt.
Das Emotionalste an diesen offiziellen Visionen ist der Lachanfall, den der Mitarbeiter bekommt, wenn er sie schließlich liest. Keine Firma würde mehr reden von »vergnüglichen Stunden in Gottes weitem Land«, das hieße: »Optimierung des Kundennutzens«. Keine Firma würde sagen, »das Pferd wird von unseren Straßen verschwinden«, das hieße: »Wir werden unseren Beitrag zum Abbau überholter Transportmittel leisten«.
Doch wie blass wirkt dieses blutleere Managergestammel neben der rotbackigen Vision Henry Fords? Dabei ist die Sprache Spiegelbild einer inhaltlichen Leere. Viele Unternehmen sind zu herzlosen Globalisierungs-Gebilden, zu seelenlosen Profitmaschinen verkommen. Als wären sie ihren Mitarbeitern nur das Gehalt schuldig – und nicht die Antwort auf den größeren Zusammenhang, auf das Warum.
Jeder Mensch will wissen, welchen Sinn sein tägliches Arbeiten hat. Zahllose Firmen wollen ihren Umsatz verdoppeln, Marktführer werden, die Innovationsrate ausbauen. Aber ich kenne nur wenige, die verraten, aus welchen Gründen sie dieses Ziel anstreben. In Henry Fords Vision dagegen erkennt jeder Viertklässler den höheren Sinn.
Armselige Prothesen für den abgehackten Sinn, das sind die meisten Visionen deutscher Firmen. Die raffinierteste Variante: Die Geschäftsführung denkt sich die Vision nicht selbst aus, sondern delegiert diese undankbare Aufgabe an die Mitarbeiter. Sollen sie sich doch selbst auf die Suche nach dem verlorenen Sinn begeben …
Meine Klientin Tanja Ebert (34) war Mitglied einer Projektgruppe, die eine Firmenvision für einen 2000-Mann-Betrieb entwerfen sollte. »Die Geschäftsführung hatte groß verkündet: Wir wollen keinen Slogan von einer Werbeagentur – wir wollen unsere Mitarbeiter texten lassen.« Deshalb kam es zu einer Ausschreibung. Alle Mitarbeiter wurden aufgefordert, Vorschläge zu machen. Die treffendsten Ideen sollten mit Reisegutscheinen prämiert werden.
Die Vorgabe der Chefetage war windelweich. Die Vision sollte eine »schlüssige Weiterentwicklung des unternehmerischen Erfolges« und vor allem auch »einen stetigen Ausbau des harmonischen Umgangs der Firmenangehörigen untereinander« aufzeigen.
Doch es gingen kaum Vorschläge ein.
Warum war die
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