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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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schon dachte: Wenn der abrutscht, reißt bestimmt das Seil.«
    »Was ist dann in der Bergwand passiert?«
    »Es war eine große Heuchelei. Jeder hat so getan, als sei er die Fürsorge in Person: ›Wie kann ich dich auf dem Weg nach oben unterstützen?‹ Aber heimlich haben alle darauf gelauert, dass einer einen Fehler macht und abstürzt. Da lag ja auch eine Symbolik drin: Die einen kommen nach oben, die anderen nicht.«
    »Wie lange hat Ihr übergewichtiger Kollege durchgehalten?«
    »Der hat geschwitzt wie ein Schwein, schon auf den ersten Metern. Irgendwann stöhnte er: ›Ich kann nicht mehr!‹ Natürlich kam aus der ganzen Bergwand das Echo: ›Wie können wir dich unterstützen?‹ Doch als er bat, man möge ihn nach unten begleiten, wurde es merkwürdig still. Alle haben auf die Trainer gehofft.«
    »Und dann?«
    »Einer der echten Bergsteiger hat ihn nach unten begleitet.«
    »Wurde das Verhalten der Kollegen später kritisiert?«
    Er winkte so heftig ab, als wollte er eine lästige Mücke verscheuchen: »Nein, nein, der Trainer wollte sein ›Gipfelerlebnis‹ ja nicht selbst kaputt reden. Am Abend, als er vor dem Geschäftsführer sprach, klang alles wildromantisch: Wir hätten bewiesen, dass unser Zusammenhalt großartig sei, dass der Starke den Schwachen stützt, dass wir angstfrei an die Spitze des Marktes kletterten …«
    »Aber das war doch gelogen!«
    »Klar. Aber was glauben Sie, was unser Irrenhaus-Direktor hören wollte? Dass er eine einzige Schlangengrube herangezüchtet hat? Oder dass seine Mitarbeiter sich gegenseitig in jeden Abgrund stießen, wenn es mal eine Sekunde keinen Zeugen gäbe?«
    »Also hat der Trainer das Team nur gelobt?«
    »Nein, das auch nicht. Er hat uns in einigen kleineren Punkten zu viel Egoismus vorgeworfen. Zum Beispiel war ihm aufgefallen, dass alle, die schließlich oben ankamen, sofort zum Handy gegriffen und zu Hause angerufen haben – statt miteinander über das gemeinsame Erlebnis zu sprechen.«
    »Und welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?«
    »Dass wir doch in einem halben Jahr zu einer zweiten Aufstiegsetappe antreten sollten. Der Trainer hat bestimmt ein kleines Vermögen kassiert. Kein Wunder, dass er für eine Fortsetzung plädiert hat.«
    Die Fotos von diesem »Gipfelerlebnis« sind natürlich als Abenteuergeschichte in der Betriebszeitung erschienen, mit Hinweis darauf, die Firma tue alles, um die Führungskräfte zusammenzuschweißen.
    Solche »abenteuerlichen« Weiterbildungen für Manager sind als letzter Schrei aus den Weiten der Wildnis in die städtischen Bürohochhäuser vorgedrungen. Wer im Internet recherchiert, stößt auf Dutzende solcher Action-Seminare. Zum Beispiel erwartet die Manager ein Outdoor-Training (von www.outdoorteam.de), an dem Karl May seine Freude gehabt hätte: »Im Mittelpunkt des Wildnistrainings stehen Lagerbau, Feuermachen, Kochen am offenen Feuer, Seilbrückenbau und Sinnesparcours. Es können aber auch klassische Aktionen wie Abseilen, Floßbau oder Orientierung im Gelände in das Programm eingebaut werden.« Na also, das Abseilen ist auch dabei!
    Doch es geht noch eine Nummer härter. Ein anderer Seminarabenteurer (www.outdoor-leadership.com) lädt zu einer »Schneesafari« ein, die den »Bau von Iglos«, den »Einstieg in eine Eishöhle« und – wahrscheinlich als Höhepunkt – den »Wettkampf mit Verschütteten-Suchgerät« beinhaltet. Da stellt man sich vor, einer der Manager wird ein paar Meter unterm Schnee versenkt – und seine Kollegen liefern sich einen heißen Kampf, wer zuerst auf das Opfer stößt (das in Wirklichkeit wohl, mangels Kooperation, in der Zwischenzeit erfroren wäre).
    Wie kommt es, dass immer mehr Seminare zu Bühnenstücken des Freilicht-Action-Theaters werden? Wie kommt es, dass dieselben Irrenhaus-Direktoren, die intern den Sparminister geben, auf diesen Fortbildungsspielplätzen Zehntausende von Euros lassen?
    Zwei Gründe höre ich aus den Erzählungen meiner Klienten heraus: Zum einen geht es den Chefs um ein hieb- und stichfestes Alibi. Wer im Alltag die giftige Saat des Konkurrenzdenkens streut, kann sich mit einem Schlag den Heiligenschein des Betriebsseelsorgers aufsetzen: Fürsorglich bucht er spektakuläre Teamtrainings – auf dass Fairness, Harmonie und ewiger Friede in die Firma einziehen. Durch diesen Kunstgriff macht sich der Bock zum Gärtner.
    Der zweite Grund: Die Fortbildung ist für denjenigen, der sie genehmigt, ein Statussymbol. Wer ein typisches Seminar in

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