Ich arbeite in einem Irrenhaus
wie wir ist kein anderer – darum müssen wir uns mit minimalem Erfolg begnügen!«
Diese Formulierung wurde nun in jeder Broschüre, jeder Stellenausschreibung, jeder Imageanzeige verwendet. Und schon nach ein paar Monaten gratulierten mir Bekannte zu meinem Arbeitsplatz bei einem »Weltmarktführer«. Ich habe nur gegrinst.
Bernd Klein, Einkäufer
§19 Irrenhaus-Ordnung: Wenn eine Firma weiß, was sie will, tut sie es. Wenn sie es nicht weiß und nichts tun will, entwickelt sie eine Vision.
Das Märchen von der Internationalität
Die Aktionäre des Lifestyle-Konzerns staunten nicht schlecht, als ihnen auf der Hauptversammlung eine Art Hollywood-Streifen vorgeführt wurde. Das Thema des Films war klar: Es ging um die Eroberung der Welt.
Der Lifestyle-Konzern schien wahr gemacht zu haben, wovon der Vorstandsvorsitzende schon seit Jahren sprach: eine bedeutende Expansion über die deutschen Grenzen hinaus. Bislang hatte man vor allem Filialen in der Schweiz und in Österreich eröffnet. Doch das dortige Geschäft hatte in der Presse nicht den gewünschten Nachhall der Internationalität gefunden, sondern war als müder Jodelversuch in den Alpentälern verspottet worden.
Und in diesem Punkt war die Geschäftsführung empfindlich. Was für die Kirche das Wort »Hölle«, war für sie das Wort »Provinz«. Das lag nicht zuletzt am Sitz der Firma, einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen, in die sich nur Fuchs und Hase zum Gute-Nacht-Sagen verirrten.
Zum Glück ahnten die Kunden nicht, in welcher altbackenen Umgebung dieser Lifestyle-Konzern hauste, auch noch in einem Gebäude aus den 1970er Jahren. Doch der Vorstandsvorsitzende war besessen von dem Einfall, seinem Unternehmen einen bunten Anstrich der Internationalität zu verpassen. Immer wieder fanden Gespräche mit der Werbeagentur statt: Wie können wir transportieren, dass wir auf dem Weltmarkt eine Rolle spielen?
Ein Agenturmensch kam auf die Idee: Hatte die Firma nicht (unbedeutende) Einzelfilialen in Paris, London und New York? Und wäre es nicht sinnvoll, diese Niederlassungen – auch wenn sie defizitär arbeiteten – in einem Imagefilm zur Schau zu stellen?
Doch was der Werber vor Ort zu Gesicht bekam, waren zweitklassige Ladengeschäfte in drittklassigen Lagen, leer von Kunden und offenbar nur eröffnet, um sich mit den Namen der Städte schmücken zu können. Mit diesen Zweigstellen sei kein Blumentopf zu gewinnen, klagte der Werber. Was man bräuchte, seien nicht irgendwelche Niederlassungen in diesen Städten – sondern repräsentative Geschäfte an repräsentativen Plätzen.
Und so kam es, dass eigens aus Imagegründen in den besten Lagen von London, Paris und New York neue Geschäftsflächen angemietet und eröffnet wurden. Diese Aktion kostete ein Vermögen, denn die Räume waren groß und edel genug, um dort Picasso-Ausstellungen zu veranstalten.
Leider konnte der Lifestyle-Konzern, dessen Name außerhalb des deutschen Sprachraums kein Begriff war, auch an diesen zentralen Plätzen nur ein paar deutsche Touristen in seine Verkaufsräume locken. Und die verloren sich auf der großen Fläche wie Ameisen auf einem Fußballfeld. Kundenleere Räume wären für einen Imagefilm kein attraktiver Hintergrund.
Doch der Werbemann wusste sich zu helfen. Über eine Statisten-Agentur forderte er eine dreistellige Zahl von Kundendarstellern an. Dieser Schwarm wurde genau instruiert, wie er sich durch den Laden zu bewegen, vor welchen Produkten er zu staunen und wie viel er (scheinbar) zu kaufen hatte.
Nun waren die Bedingungen erfüllt: Die Agentur ließ das Kamerateam auf die Geschäfte los, in New York, London und Paris. In allen Metropolen dieser Erde – so sahen es die Aktionäre auf der Hauptversammlung – war der Lifestyle-Konzern nun nicht nur vertreten, sondern bei den Kunden so begehrt, dass sie ihm förmlich die Bude einrannten.
Wie gut, dass sich niemand nach den Umsatzzahlen, geschweige denn dem Gewinn, in diesen Ländern erkundigte. Denn für jeden Euro, den man dort einnahm, wurden drei oder vier investiert. Also ein gigantisches Verlustgeschäft.
Etliche Irrenhäuser – vor allem unbedeutende – verwenden allen Ehrgeiz darauf, endlich die engen Landesgrenzen zu sprengen und ins internationale Geschäft einzusteigen. Zum Beispiel kenne ich mehrere Werbeagenturen, die den Umstand, dass sie in New York einen rostigen Briefkasten aufgehängt haben, zu einem zweiten Firmensitz im Herzen der USA hochstilisieren.
Die
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