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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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einst, wollen die Mächtigen von heute sein, wollen das Sagen haben, damit sie sich nichts sagen lassen müssen. Führung als Selbstflucht.
    Dabei agiert eine gute Führungskraft nicht wie ein Egomane, sondern eher wie ein Gärtner. Sie legt ein Beet an, setzt jeden Mitarbeiter an der richtigen Stelle ein und fördert sein Wachstum. Der Boden der Beziehung wird durch Rückmeldungen, durch Fortbildungen, durch eine produktive Beziehung gedüngt. Wenn eine Pflanze schlecht wächst, fragt sich der Gärtner: Was kann ich tun, damit meine Pflanze besser gedeiht?
    Wer allerdings nur den Spaten nimmt und die Pflanze aus dem Garten schleudert, der braucht sich über sein eigenes Versagen keine Gedanken zu machen. Eine »A-Führungskraft« mag er sein – aber nur, wenn »A« für die Abkürzung eines Wortes steht, das ich hier nicht schreiben will.
    §39 Irrenhaus-Ordnung: Es gibt wenige Mitarbeiter erster Klasse, viele Mitarbeiter zweiter Klasse und zu viele Mitarbeiter dritter Klasse. Tragischerweise ballen sich drittklassige Mitarbeiter stets unter erstklassigen Vorgesetzten!
    Neue Besen kehren kesser
    Mit dem Stechschritt eines Generals, der den Gruß seiner Truppen abnimmt, marschierte der neue Bereichsleiter des Energietechnik-Unternehmens über den Flur und trommelte seine neuen Mitarbeiter zu einer Sitzung zusammen. Sein Ton war laut und schneidend, als wollte er Schlafmützen wecken. Und so war es auch.
    Der neue Chef machte deutlich, dass er das Rad neu erfinden wollte. In der Arbeit seines Vorgängers schien er nur ein Potential zu entdecken – das zur Korrektur. Er kam von einer Konkurrenzfirma. Er wusste alles besser.
    Sein erster Tagesordnungspunkt waren die Präsentationen bei Partnerfirmen im Ausland. Mit einem süffisanten Lächeln sagte er: »Ich sehe, dass da pro Jahr ein sechsstelliger Etat für diese Reisen verballert wird. Aber sicher können Sie das Wort ›Videokonferenz‹ buchstabieren. Künftig werden wir alle Präsentationen mit Auftragsvolumen unter 250000 Euro vom Firmensitz aus machen. Damit sind wir auch bei meiner letzten Firma gut gefahren.«
    Die Mitarbeiter widersprachen heftig: Was würden die Kunden, mit denen man über Jahrzehnte verbunden war, zu dieser unpersönlichen Form sagen? Und was war mit den zahlreichen mittelständischen Firmen, die gar nicht über die technischen Voraussetzungen verfügten?
    Der neue Chef gab sich als Freund und Helfer der Kundschaft: »Das ist doch ein guter Anreiz, dass unsere Kunden ihr Auftragsvolumen erhöhen. Wie gesagt: Ab 250000 pro Einzelauftrag spricht nichts gegen Kundenbesuche. Außerdem: Wer für eine Videokonferenz nicht gerüstet ist, sollte uns für den kleinen Hinweis danken, dass wir im 21. Jahrhundert angekommen sind.«
    Die Mitarbeiter konnten diese Streichung nicht fassen. Machte ihr Unternehmen nicht jedes Jahr einen hohen Millionengewinn? Und basierte dieser Erfolg nicht auch auf den zahlreichen mittelständischen Kunden, mit Auftragsvolumen bis 200000 Euro? Was wollte der neue Chef mit seiner Politik erreichen?
    Die Veränderungswut des neuen Irrenhaus-Direktors erfasste jedes Detail. Zum Beispiel brachte er aus seiner letzten Firma ein »Tool« mit, um die Angebotstexte zu standardisieren. Er habe sich diese einmal angesehen: »Jedes Angebot klingt vollkommen anders. Mal jovial, mal formal. Völlig ohne einheitliche Handschrift. Wo bleibt da die Corporate Identity? Künftig werden wir Standards einführen.«
    Die Mitarbeiter hielten entgegen, genau das sei doch die Stärke des Unternehmens – dass man auf jeden Kunden individuell eingehe und keine Angebote von der Stange liefere. Der neue Chef konterte: »So nennen Sie das. Ich nenne das: unprofessionelle Extrawürste. Höchste Zeit, dass wir diese Standards nach oben schrauben.«
    Wie kann es sein, dass ein neuer Chef spätestens nach einer Woche meint, er wisse mehr als sein Vorgänger nach Jahren? Wie kann es sein, dass er Entscheidungen fällt, ehe er die Abläufe überhaupt verstanden, die Mitarbeiter gefragt und ein Gespür für die Kultur und die Besonderheiten eines Unternehmens entwickelt hat?
    Die meisten Neuchefs überschätzen sich maßlos. Sie denken, in der Zeitrechnung vor Christus, sprich vor ihrem Eintreten, sei die ganze Firma ein einziger Pflegefall gewesen. Keine pfiffigen Ideen, keine fähigen Mitarbeiter – nur Ruinen und Zerfall.
    Doch nun, da die Not am größten ist – oft trotz Millionengewinn –, treten sie als Erlöser auf den Plan. Dabei legen

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