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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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sie ein Verhalten an den Tag, das aus der Natur bekannt ist: Ein Vatertier, zum Beispiel ein Kater, tötet mit Vorliebe Junge, die nicht von ihm selbst sind. Stattdessen hegt und pflegt er seine eigene Aufzucht.
    Da kann ein Geschäftsmodell jahrelang funktioniert haben – ein neuer Chef wird es sofort auf den Kopf stellen, um seine eigene Duftmarke zu setzen. Da können Mitarbeiter sich über Jahrzehnte bewährt haben – ein neuer Chef wird sie ins zweite Glied stoßen, um seine eigenen Jünger ins neue Firmenland zu holen.
    Neue Irrenhaus-Direktoren wollen Zeichen setzen, die keiner übersehen kann. Das geht sogar auf profane Weise. So weiß ich von der Geschäftsführerin einer Agentur, die auf Wandmalerei setzte. Die bislang weißen Bürowände wurden orangefarben gestrichen, in der ganzen Firma. Dabei spielte sie sich zur modernen Personalpsychologin auf: Studien hätten ergeben, dass diese Wandfarbe günstig fürs kreative Arbeiten sei …
    Der Effekt: Wer auch immer das Firmengebäude betrat, ob Kunde, Kurier oder Taxifahrer, fragte sofort: »Na nu, farbige Wände – was ist bei euch los?« Antwort: »Wir haben eine neue Chefin.« Der Geschäftsführerin war es gelungen, unübersehbare Spuren zu hinterlassen – aber leider nicht in den Geschäftszahlen (ein Bereich, um den sie sich in den ersten Wochen gar nicht scherte), sondern nur an den Wänden der Firma …
    Schnell sichtbare Effekte – darauf kommt es an. Der hektische Aktionismus hat das Handeln mit langem Atem ersetzt. Und freuen sich die Aktionäre nicht ein Loch in den Bauch, wenn ein Neuer den Presslufthammer der Veränderung anwirft? Gelten nicht gerade Manager als »zupackend« und »produktiv«, die keinen Stein auf dem anderen lassen (auch wenn sie bewährtes Mauerwerk zerstören!), die für Actiontheater sorgen (auch wenn sich die Geschäfte leise abwickeln lassen) und die ihre Mitarbeiter wie einen Hühnerhaufen aufscheuchen (auch wenn die Arbeit bislang zuverlässig erledigt wurde)?
    Die neuen Irrenhaus-Direktoren haben leichtes Spiel: Eine Entscheidung ist blitzschnell gefällt, ein Zeichen gesetzt. Aber die Folgen dieser Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Geschäftszahlen und auf die Motivation der Mitarbeiter, werden oft erst Jahre später sichtbar. Dann kann der Herr Direktor die Firma schon wieder verlassen haben, um das nächste Unternehmen zu erlösen.
    Der Führungsexperte Fredmund Malik schreibt in seinem Standardwerk »Führen, leisten, leben« über solche Actionhelden: »Untersucht man ihre Lebensläufe aber etwas genauer, dann zeigt sich, dass sie nur eine Fähigkeit haben, diese aber perfekt beherrschen: Sie wissen, wann sie gehen müssen – und sie gehen immer genau ein halbes Jahr, bevor der ›Mist‹ zu riechen beginnt, den sie hinterlassen haben.« 54
    Dauerhafte Veränderungen würden einen langen Atem erfordern: Was heute gesät wird, muss lange wachsen und bis zur Ernte gepflegt werden. Zum Beispiel hätte die Geschäftsführerin die Motivation und die Kreativität ihrer Mitarbeiter verbessern können, indem sie ein Klima der Wertschätzung schafft, Räume für Eigeninitiative öffnet und jeden Mitarbeiter als Mitunternehmer behandelt. Das hätte Jahre gedauert.
    Die orangefarbenen Wände waren nach einer Woche fertig.
    Betr.: Wie mein Chef erfuhr, dass er kein Chef mehr war
    Ich arbeite für einen großen Druckhersteller, der in den letzten Jahren x-mal den Besitzer gewechselt hat. Vor ein paar Wochen habe ich im Intranet geschaut, welche neuen Mitarbeiter in den nächsten Monaten zu uns kommen. Mit großen Augen las ich: Für die Abteilung, in der ich arbeitete, war in zwei Monaten ein neuer Chef angekündigt. Verdammt, warum wusste ich davon nichts?!
    Mit Dieter, meinem Abteilungsleiter, habe ich seit vielen Jahren ein gutes Verhältnis. Ich rief ihn herbei, um ihn zur Rede zu stellen: »Dieter, schau hier mal – was bitte schön hat diese Meldung zu heißen?« Er wurde blass wie ein Leichentuch. Öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann stammelte er, wie von einem Hammer getroffen: »Das gibt’s ja nicht! Das gibt’s ja nicht!«
    Das gab es doch. Man hatte ihn nach vielen Jahren degradiert, es aber offenbar nicht für nötig gehalten, ihn darüber zu informieren. Sein Chef hatte ihm lediglich mitgeteilt, dass »Verstärkung für die Abteilung« geplant sein. Darauf berief er sich nun, als Dieter fassungslos bei ihm protestierte.
    Egon Hermann, Reprofotograf
    §40 Irrenhaus-Ordnung: Ein

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