Ich arbeite in einem Irrenhaus
Mitarbeiter als Gladiatoren. Und hoch oben, auf der Führungstribüne, heben oder senken die Manager den Daumen – fördern oder vernichten eine berufliche Existenz.
Hier wurde selbstherrlich über die Köpfe hinweg gerichtet. Niemand hatte Dieter vor dem Tag seiner Entlassung gesagt, in welchen Punkten er seine Leistung ausbauen müsse. »Mehr als ein gelegentliches Mosern war nicht passiert«, sagte Claudia Merger.
Die durchgeknallte Idee, Mitarbeiter wie Champignons in der Dose zu »erster Wahl«, »zweiter Wahl« oder »dritter Wahl« zu erklären, wurde von einem gefeierten Helden des modernen Managements eingeführt: von Jack Welch, dem langjährigen Chef von General Electric. Der hemdsärmlige US-Erfolgsmanager tauchte in der Wirtschaftspresse auch als »Neuronen-Jack« auf – ein Mann mit Sprengkraft, der alles aus dem Weg räumte, was ihn störte. Auch Mitarbeiter.
Das Credo, nach dem er sein Personal führte, war eine brutale Selektion. Er teilte die Mitarbeiter in drei Kategorien ein: »die besten 20 Prozent, die mittleren 70 Prozent und die schlechtesten 10 Prozent.« 52 Die »A-Player« wollte er »mit Prämien, Aktienoptionen, Lob, Liebe, Weiterbildung« überschütten. Die »70 Prozent im Mittelfeld« sollten »das Gefühl vermittelt bekommen, Teil des Ganzen zu sein«.
Aber »was die unteren 10 Prozent oder C-Player angeht«, so »Neuronen-Jack«, »braucht man nichts schönzureden: Sie müssen gehen.«
Das bedeutet: Eine bestimmte Soll-Quote von Mitarbeitern ist jedes Jahr vor die Tür zu setzen. Diese ebenso klare wie brutale Philosophie findet Freunde unter den deutschen Irrenhaus-Direktoren, erst recht in Zeiten des Personalabbaus.
Aber liegt der »Bomben-Manager« Jack Welch nicht sogar richtig? Gibt es nicht in jedem Team Mitarbeiter, die zum Beispiel mit ihrer Langsamkeit die anderen ausbremsen oder mit ihrer Schlampigkeit die Fehlerquote explodieren lassen? Und ist es nicht die legitime Aufgabe jeder Führungskraft, diese faulen Äpfel aus dem Korb zu sortieren – auch um das restliche Team zu schützen?
Das Problem ist nur: Wer als Irrenhaus-Direktor nicht führt, sondern eine bestimmte Quote aussortiert , der achtet ja gar nicht auf den absoluten Zustand der Mitarbeiter-Äpfel – nur auf den relativen. Und wenn zehn Äpfel im Personal-Korb liegen, dann hat einer davon faul zu sein. Auch wenn er rot, frisch und knackig wirkt. Raus mit ihm. Und basta.
Wer als Führungskraft gezielt nach dem schwächsten Mitarbeiter sucht, der wird ihn mit ebenso großer Sicherheit finden, wie er dessen Stärken übersieht. Dabei besteht die eigentliche Aufgabe einer Führungskraft darin, die Stärken eines jeden Mitarbeiters zu erkennen, sie zu fördern und für die Firma zu nutzen. Wer sich auf die Schwächen konzentriert, so wissen Verhaltenstherapeuten, der verstärkt sie nur.
Der zitierte Irrenhaus-Direktor, der seinen Mitarbeiter den Abflug machen ließ, hat eine Milchmädchenrechnung aufgemacht, nicht systemisch gedacht, das Problem nur beim Mitarbeiter gesehen, nicht bei sich selbst. Aber wer hatte diesen Mitarbeiter eigentlich eingestellt? Wer hatte ihn am jetzigen Arbeitsplatz eingesetzt? Wer hatte mit ihm seine Entwicklungsziele besprochen, seinen Fortbildungsplan festgelegt, seine Potentiale analysiert, seinen Leistungsstand gespiegelt?
Ich stelle immer wieder fest: Eine Führungskraft, die mit einem Finger auf schwache Mitarbeiter zeigt, deutet mit drei Fingern auf sich selbst. Die Mitarbeiter, gerade die vermeintlich schlechten, sind immer ein Produkt des Führungsstils. Warum – wenn nicht durch Führungsfehler – wurden sie eingestellt? Warum – wenn nicht durch Führungsfehler – haben sie ihre Probezeit überstanden? Warum – wenn nicht durch Führungsfehler – kommen sie nicht in den Genuss von Fortbildungen, die ihnen bei ihrer Entwicklung helfen? Und warum – wenn nicht durch Führungsfehler – fallen sie bei ihrer Entlassung aus allen Wolken, statt vorher im klaren Dialog mit ihrem Chef zu stehen?
Doch die Selbstkritik hat zur Führungsetage keinen Zutritt, weil dort schon eine wahnsinnige Selbstgefälligkeit wohnt. Der New Yorker Wirtschaftspsychologe Paul Babiak fand heraus: Unter leitenden Angestellten kommen Psychopathen achtmal so häufig wie in der Gesamtbevölkerung vor, wo nur jeder Hundertste als gestört gilt. 53 Nach oben streben bevorzugt Menschen, die als Kinder narzisstische Kränkungen erdulden mussten. Sie, die Ohnmächtigen von
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