Ich beantrage Todesstrafe
wickelten mit spitzen Fingern das Packpapier ab und enthüllten einen flachen, in Seidenpapier noch einmal eingeschlagenen Kasten. Auf dem Kasten lag ein Brief.
Regierungsrat Moll entfaltete das Papier. Ein kurzes Schreiben, mit der Schreibmaschine geschrieben.
Sehr geehrter Herr Direktor!
Wieder in der Freiheit, die mir die Humanität unseres Staates verschaffte, möchte ich nicht versäumen, Ihnen für die Pflege und gute Bewirtung in Ihrem ›Etablissement‹ herzlichst zu danken und erfülle hiermit mein Versprechen, Ihnen als Ausdruck meiner tiefempfundenen Dankbarkeit ein Kistchen köstlicher echter Havannas zu senden. Ich habe lange gesucht, ehe ich sie fand, denn ich weiß, daß Sie ein Kenner sind … nicht nur der Zigarren, sondern auch des guten Weines.
Beim Abschied legten Sie mir ans Herz, ein braver Mensch zu werden. Es war leicht, Ihrem Rate zu folgen, denn das Schicksal veränderte meine Welt kaum nach meiner Entlassung. Meine geschiedene Frau wurde erschlagen, meine beiden Freunde kamen durch Unglücksfälle ums Leben, der Sachverständige meines Prozesses verschwand bis heute spurlos … So lebe ich jetzt allein und bemühe mich, wieder Anschluß zu finden und ein guter Mensch zu werden. Ich besuche fleißig die Kirche, ich singe auch wieder im Kirchenchor mit. Am interessantesten sind die abendlichen Bibelstunden und Aussprachen. Unser Dechant ist ein feiner Mann, dessen Vertrauen in die Seele des Menschen so groß ist, daß er mich immer mit ›Mein Sohn‹ anredet.
Der Poststempel dieses Päckchens ist Bonn. Aber ich habe Bonn verlassen, wenn Sie die Zigarren erhalten. Deutschland ist groß, und einen kleinen Buchhalter kann man überall gebrauchen. Seien Sie gegrüßt von Ihrem Kurt Meyer – mit y.
Regierungsrat Moll ließ den Brief sinken. Sein Gesicht war starr, maskenhaft tot. Auch Wachtmeister Puck war blaß und schien zusammenzufallen. Seine Hände zitterten, als er mit einer sinnlosen Bewegung sein Koppel geraderückte.
»Er hat sie alle vier umgebracht«, stammelte er.
Friedrich Moll schob die Zigarren weit über den Tisch von sich weg. Die Ungeheuerlichkeit dieses Briefes löste eine Leere in seinem Inneren aus, die Atemnot erzeugte.
»Ich kann es nicht begreifen«, sagte er schwach. »Der kleine, blasse, unscheinbare Buchhalter Meyer, der höfliche, etwas eigene Mensch – ein Mörder.« Moll strich sich über sein Gesicht. »Und er singt sogar im Kirchenchor und läßt sich von dem Pfarrer mit ›Mein Sohn‹ anreden. Puck – ich bin dabei, den letzten Funken Glauben an den Menschen und an die Gerechtigkeit zu verlieren.«
»Was werden Sie tun?«
»Was ich tun werde?!« Moll sprang auf. »Die Staatsanwaltschaft benachrichtigen. Dieser Brief ist ein Geständnis!« Er klopfte mit der Faust auf das Schreiben. »O diese Schweinerei! Diese Schweinerei!«
»Wenn sie ihn entdecken und verurteilen, wird er zu uns zurückkommen«, sagte Puck langsam.
»Er wird uns sicherlich zwanzig Jahre lang beglücken. Meyer ist gesund. Er ist einunddreißig Jahre alt. Er kann alt werden – bei uns.«
Regierungsrat Moll griff nach dem Telefon. »Ich spreche sofort mit dem Generalstaatsanwalt! Ich werde mich melden lassen beim Justizminister. Wenn ein Kurt Meyer weiterlebt, weiterleben darf, soll man die Gesetze doch gleich abschaffen!« Moll nahm den Hörer ab und legte seinen Zeigefinger auf die Wählscheibe. »Wenn der Fall Meyer nicht die trägen Gehirne aufrüttelt, soll mir einer mal klipp und klar erklären, was er unter ›Strafvollzug‹ versteht. Ein Mann, der vier Jahre im Zuchthaus saß, verläßt es, ermordet am gleichen Tag noch seine Frau und dann in vier weiteren Tagen drei seiner persönlichen Feinde, deren Aussagen ihm die Zuchthausstrafe zu Recht einbrachten. Eine Blutrache, eine Mafia im kleinen. Und dieser Mann wird später dann in einem Verfahren unter schönen Reden verurteilt, in einem schönen Zuchthaus bei reichlichem Essen und leichter Beschäftigung darüber nachzudenken, daß er ein Bösewicht ist, der vier Menschen umbrachte.«
Moll hieb mit der Faust auf den Tisch. »Das ist doch Wahnsinn, Pucky, das stinkt doch meilenweit! Das ist keine Humanität mehr – das ist totale Sonnenfinsternis des Verstandes!«
Wachtmeister Puck nickte. Er nahm das Kistchen mit den auserwählten Havannas und schob es unter den Arm. »Was soll mit den Zigarren geschehen, Herr Regierungsrat?«
»Verbrennen. In der Heizung. Glauben Sie, ich rauche diese blutigen
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