Ich beschütze dich
an und klopft auf den Korpus der Gitarre. Durch Gregs Schallisolierung kann ich die Musik natürlich nicht besonders gut hören, doch auch ohne jede Note mitzubekommen, genieße ich die Feinheiten der langsamen und der schnelleren Stellen, von laut und leise, rhythmischem Schlagen und Melodie. Im Grunde höre ich gar nicht richtig zu, ich achte nur auf den konzentrierten Ausdruck auf seinem Gesicht, diese Intensität, die Gefühle. Als befände er sich ganz und gar in einer anderen Dimension. Das ist mehr als Talent, das ist eine Verschmelzung. Mit etwas Größerem, etwas anderem. Es wird wunderbar sein, ihm beim Gitarrespielen zuzusehen, wenn er den Kopf über den polierten Korpus beugt und die Gefühle aus seiner Seele in seinen Körper und seine Finger steigen und in diesen Noten hervortreten. Er hält die Gitarre, wie er später Frauen halten wird, voll Zärtlichkeit und Rhythmus, mit dem richtigen Instinkt für Geben und Nehmen und dafür, wann er sich zurückhalten und wann er alles geben soll. Bis jetzt kannte ich nur einen Menschen mit diesem Instinkt – Seb.
Als ich mit einem Tablett mit frisch gekochtem Tee zu ihm gehe, schimmert der Fluss in dunklem Kupfer, die Gebäude am anderen Ufer sind in ein fahles Licht getaucht. Er blickt auf, als ich hereinkomme, und legt die Gitarre weg.
»Ich habe geklopft und nach Ihnen gerufen. Warum war die Tür abgeschlossen?« Er steht auf und macht einen Schritt auf die Tür zu, ohne mich aus den Augen zu lassen. Ich bleibe, wo ich bin, um ihm den Weg zu versperren. Sicher ist sicher.
»Entschuldige, Jez. Wie dumm von mir. Das ist reine Gewohnheit. Wegen der teuren Ausstattung hier oben besteht Greg darauf, dass ich abschließe.«
»Ich habe schon leichte Panik bekommen. Ich muss los. Es ist doch bestimmt schon spät.«
»Du hast noch genug Zeit, keine Sorge. Schau mal, ich habe dir …«
»Haben Sie mit Helen gesprochen? Damit sie Alicia sagt, sie soll sich melden?«
»Ach, das. Ja. Sie hätten anrufen können. Aber aus irgendeinem Grund«, ich zucke mit den Schultern und stelle das Tablett auf den Nachttisch, »haben sie das nicht.«
Er starrt mich an, sein Blick wirkt leicht verdutzt.
»Ich habe immer noch üble Kopfschmerzen«, sagt er.
»Das ist normal. Ich habe dir Tee gebracht. Du musst etwas trinken. Und nachher brauchst du was Ordentliches zu essen. Ich habe Arancini, von dem italienischen Stand auf dem Markt.«
»Was?«
»Arancini. Mit Bolognese oder Mozzarella gefüllte Reisbällchen. Köstlich. Und dazu weißen Rioja. Der wird dir schmecken.«
Den Wein zu erwähnen ist ein Fehler. Er verzieht das Gesicht.
»Jetzt ist dir vielleicht nicht danach, aber später wirst du das gegen den Kater brauchen.«
»Danke. Für alles. Aber ich muss wirklich los.« Er sammelt seine Sachen ein, die im Zimmer verstreut liegen: seinen Kapuzenpulli, einen abgefallenen Button, ein Päckchen Kaugummi. Mein Herz fühlt sich an, als würde es zerquetscht, ich bekomme keine Luft. Ich weiß, was er tut, und ich kann es nicht ertragen.
»Geh nicht.«
»Ich muss. Sie werden sich schon fragen, wo ich in den letzten vierundzwanzig Stunden war.«
»Lass sie doch denken, was sie wollen«, sage ich. »Bleib einfach.«
»Ich fühle mich mies. Und Alicia fragt sich bestimmt, was passiert ist. Warum ich den Zug nicht genommen habe. Meine Mutter wird sich Sorgen machen.«
»Jez«, rutscht es mir heraus, und ich merke selbst, dass es wie Betteln klingt. »Und was ist mit mir?«
Als er mich ansieht, wirkt er zum ersten Mal erschrocken.
Mit meiner Verzweiflung habe ich eine wichtige Regel gebrochen. Ich muss eine meiner Profitechniken einsetzen. Muss gelassen klingen. Das Meer der Trostlosigkeit verbergen, das mich zu verschlingen droht.
»Ich habe für heute Abend eine Verabredung abgesagt, weil ich dachte, dass du bleiben willst. Bleib doch, bitte. Wir können Pizza essen, wenn du das lieber magst, oder Burger, was immer du willst. Und ich suche dir die Nummer von meinem Opernfreund raus.«
»Danke, echt. Aber ich gehe jetzt wohl lieber. Ich muss zu Hause anrufen. Die Nummer von Ihrem Freund können Sie mir ja simsen. Ich besorge mir ein neues Handy.«
Ich sehe ihn an, starre ihm direkt in die Augen und denke, so laut ich kann: Tu das nicht. Ich will dich nicht zwingen müssen. Aber er überprüft weiter seine Taschen und schnürt sich die Schuhe zu.
»Mit so einem Kater kannst du nicht nach Hause gehen. Was soll denn Helen denken?«
»Ich trinke noch schnell eine Tasse
Weitere Kostenlose Bücher