Ich beschütze dich
Serviette ab und rutscht verlegen auf seinem Stuhl hin und her.
Dann sagt Greg: »Deine Mutter nimmt Anteil. Das weißt du doch.«
»Wer soll sie besuchen, ihr Essen bestellen, ihr bringen, was sie braucht, wenn ich in Genf bin?«
Kit und Greg sehen sich an, als hätten sie das alles schon seit Wochen ausgeheckt.
»Sie kommt natürlich mit«, sagt Kit. »Ich würde Oma doch nicht allein lassen. Dad hat ein Haus mit einer Einliegerwohnung gesehen, und …«
Ich schenke mir Wein nach und stütze den Kopf in die Hand. Angespannte Stille tritt ein.
Dann sagt Kit: »Kann ich Harry denn das Musikzimmer zeigen? Dürfen wir bis zum Nachtisch aufstehen?«
Bevor ich reagieren kann, zwinkert Greg Harry zu und sagt: »Das Keyboard gehört übrigens mir. Ich freue mich sehr, wenn ein Freund von Kit darauf spielen will.«
Kit lächelt ihren Vater an und drückt seine Hand.
»Ist das in Ordnung, Mum?«, fragt sie besorgt.
»Natürlich.« Ich versuche, mir auch ein Lächeln abzuringen. »Es ist gut, wenn es mal wieder benutzt wird. Greg spielt mittlerweile kaum noch.«
»Was sollte das heißen?«, fragt Greg, nachdem Kit und Harry gegangen sind. Überrascht blinzle ich.
»Gar nichts. Du spielst nicht mehr oft. Du bist nicht oft hier.«
»Das war ein Seitenhieb«, behauptet er. »Warum sagst du es nicht, wenn du ein Problem damit hast, dass ich öfter weg bin?«
»Ich habe damit kein Problem.«
»Warum benimmst du dich dann so passiv-aggressiv?«
»Passiv-aggressiv?«
»Wie würdest du es denn nennen?«
»Nicht passiv-aggressiv, Greg, das ist unfair. Was ich gesagt habe, ist einfach eine Tatsache. Du spielst nicht mehr so häufig wie früher. Du bist seltener hier.«
Wieder mustert er mich mit diesem besonderen Blick, mit einer heruntergezogenen Augenbraue, als wollte er abschätzen, ob er mit seiner ersten Diagnose richtiggelegen hat.
»Was ist los, Sonia?«, fragt er schließlich. »Erst der Wein. Dann die ganzen spitzen Bemerkungen darüber, dass ich nicht mehr spiele. Wolltest du mir mit dem Wein auch eins auswischen?«
»Mein Gott, schon wieder der Wein. Lass es doch gut sein, es war ein Versehen von mir, und ich entschuldige mich. Uns fällt schon etwas anderes ein, um Kits Geburtstag zu feiern. Ich kaufe Jahrgangschampagner. Ist ja nicht so, als hätten wir zurzeit kein Geld.«
»Wie oft … Ich kann die Dozentenstelle gerne aufgeben. Wenn du es willst, tue ich das für dich. Du musst es nur sagen.«
»Hältst du es für eine besonders gute Idee, öfter zu Hause zu sein?«, frage ich. »Wo wir es mittlerweile offenbar darauf anlegen, uns falsch zu verstehen?«
»Nein«, antwortet er. »Du hast recht, vielleicht wäre es keine gute Idee.«
Ich stehe auf, räume die Teller ab und schabe die Reste in den Mülleimer.
Kit kommt herein und betrachtet uns missmutig.
»Was ist, Spätzchen?«, fragt Greg und breitet die Arme aus. Sie geht zu ihm und lässt sich drücken.
»Ihr beide«, sagt sie. »Ich dachte, ihr würdet euch besser verstehen, seit ich ausgezogen bin.«
»Ach, Kit«, sage ich. »So schlimm war es doch nicht, oder? Solange du hier warst?«
»Ihr habt euch ständig gezankt. Ich dachte immer, es wäre meine Schuld. Dass ihr euch versteht, wenn ich weg bin.«
»Schätzchen«, sagt Greg. »Alle Eltern zanken. Das hat nichts mit dir zu tun. Wie kannst du so was nur glauben? Wir lieben dich über alles. Nicht wahr, Sonia?«
»Natürlich.«
»Und wir lieben uns.« Er sieht mich lächelnd an, also lächle ich zurück.
»Aber über den Umzug seid ihr euch nicht einig?«
Sie sagt »den Umzug«, als wäre er schon beschlossene Sache, als hätten sie schon alles vorbereitet. Ich setze an, etwas zu sagen, doch Greg kommt mir zuvor.
»Das heißt nicht, dass wir uns nicht lieben würden, Schatz.«
»Und?«, frage ich. »Harry? Es sieht ganz schön … ernst aus.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Wir verstehen uns ganz gut. Ach, ich habe Harry von deiner akustischen Gitarre erzählt, Dad, von der, die du in Spanien gekauft hast. Aber ich habe sie nicht gefunden. Hast du sie nicht mehr?«
Ich spüre, wie Greg Blickkontakt sucht, aber ich beschäftige mich mit dem Nachtisch.
»Wie wäre es mit Zitronentarte? Sie ist von Rhodes. Ach, und Kit, ich habe dir Prinzessinnentorte geholt.«
Sie kommt zu mir herüber. Als ich einen Arm um sie lege, scheint etwas von mir wegzugleiten, als hätte ich eine Schicht abgestreift. Ich erhasche einen Blick auf mein früheres Ich; auf die Mutter, die sich noch über
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