Ich beschütze dich
dich schon nicht umbringen«, sage ich, und endlich tauschen wir einen vertrauten, liebevollen Mutter-Tochter-Blick aus.
Kit richtet sich auf, ihre Augen leuchten, und sie geht lächelnd einen Schritt vor, als ein großer, junger Mann in der Tür auftaucht.
Er hat eine Privatschule besucht, das erkenne ich daran, wie er mir die Hand entgegenstreckt und mir in die Augen sieht. Er trägt eine Anzughose, einen Wollmantel und eine Brille mit dunklem Rahmen. Er ist mindestens vier Jahre älter als Jez. Aber ich kann Harry ansehen, dass er nie richtig jung war. Jez ist nicht so glattgeschliffen wie er. Das liebe ich so an ihm. An dieser flüchtigen Phase, in der er gerade ist. An dem Nebelhaften, das sich noch nicht zu einer starren Form verfestigt hat, von der es kein Zurück gibt.
»Mum, das ist Harry. Harry, meine Mutter Sonia.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Harry«, sage ich.
Er lächelt mich an, schüttelt meine Hand etwas länger, als es mir angenehm ist, und mustert mich durch seine Brille. Haben sie auf dem Weg hierher über mich geredet, und wenn ja, was hat Kit ihm erzählt?
Als Greg hinter mir die Küche betritt, hellt sich Kits Miene auf. Ich gehe zur Seite, die beiden sehen sich an und lachen. Greg legt ihr die Hände auf die Schultern und sagt: »Lass dich mal ansehen«, und Kit strahlt ihn an. Dann zieht er sie mit und winkt Harry zum Wohnzimmer durch.
Ich kümmere mich weiter um das Essen. Dabei läuft eine CD , eine Cellosuite von Bach. Ich schrubbe und schäle die Kartoffeln, schneide sie in Viertel, salze sie und schiebe sie zum Rösten in den Ofen. Greg kommt zurück, holt eine Flasche Sancerre für die Vorspeise aus dem Weinregal und legt sie in den Kühlschrank.
»Wo ist der Bordeaux? Der Château Lafite, den wir für Kits Einundzwanzigsten aufheben?«, fragt er. »Er müsste im Regal liegen.«
Bis zu diesem Moment habe ich an den Wein keinen Gedanken mehr verschwendet. Nachdem ich den Korken herausgezogen hatte, gab es für mich nur noch die Freude, ihn mit Jez zu teilen. Jetzt sehe ich Greg an und merke, dass gleich ein Sturm losbricht.
»Ach, die«, sage ich.
»Was, Sonia? Was soll das heißen?«
»Tut mir leid, Greg. Sie wurde aus Versehen geöffnet. Abends nach einem Termin. Die erste Flasche Wein war leer, also habe ich gesagt, hol eine neue aus dem Regal. Ich habe nicht auf das Etikett geachtet.«
»Wir haben die Flasche jahrelang aufbewahrt. Bist du verrückt geworden?«
»Greg, es war doch nur Wein.«
»Das begreife ich nicht. Es war doch deine Idee, sie für Kits Einundzwanzigsten im Juni aufzuheben. Nicht meine. Aber ich dachte, besser könnte man einen wichtigen Geburtstag nicht feiern. Und jetzt ist sie weg.«
Sein Blick gefällt mir nicht, er sieht mich an, als würde er überlegen, ob ich verfrüht in die Wechseljahre komme oder an Demenz leide, an etwas, worüber man nicht spricht. Ärzte haben immer die Oberhand. Ständig benehmen sie sich, als wüssten sie Geheimnisse über einen. Man macht sich ewig Sorgen, sie hätte irgendein schreckliches Symptom erkannt und würden nur auf den richtigen Augenblick warten, um es einem beizubringen.
»Greg, an dem Abend war ich genauso sauer wie du jetzt. Dann habe ich mich gefragt, was die Aufregung soll. Das sind doch nur ein paar zerquetschte Beeren in einer Flasche. Es gibt wirklich Schlimmeres.«
»Zerquetschte Beeren, die in Kits Geburtsjahr gelesen wurden und seit damals gereift sind«, sagt er. »So etwas ist unbezahlbar. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen.«
»Ich muss jetzt die Minzsauce machen.« Seufzend wende ich mich ab. »Es tut mir leid. Was soll ich noch sagen?«
Ich zerstoße grüne Minzblätter im Mörser und sehe zu, wie sie sich braun verfärben, während sie ihren Duft freisetzen. Für die Sauce füge ich Essig und Zucker hinzu und rühre alles kräftig durch. Aber in Gedanken bin ich nur halb hier. Nur ein Teil von mir bewohnt diese Welt mit Lammbraten und Sancerre und Sauce, polierten Gläsern und Tischtüchern, während der Rest, mein geheimes Ich, das sich realer anfühlt, ganz von Jez gefangen ist. Sein Duft ist es, der die Luft um mich erfüllt. Sein Fleisch salbe ich, als ich das Lamm mit Rosmarin und Knoblauch einreibe. Mit einem Schauer denke ich daran, dass er am Ende des Fußwegs ist, eingesperrt in einer Garage, und ich wünschte, er wäre oben, umhüllt von dem wunderbaren Licht des Musikzimmers.
Als wir uns eine halbe Stunde später an den Esstisch setzen, hat Greg immer noch kein
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