Ich beschütze dich
der Geruch des Flusshauses, den man nicht bemerkt, wenn man nicht für einige Zeit fort war.
Er zieht mich näher zu sich heran, und obwohl ich mich wehre, beugt er sich vor und fängt an, mich zu küssen.
Ich habe Greg nie besonders gerne geküsst, aber seit wir über vierzig sind, kommt es mir nicht einmal mehr angebracht vor. Warum? Fühlen sich alle verheirateten Paare unbeholfen beim Küssen, wenn sie älter werden? Ich gebe mir durchaus Mühe. Ich öffne leicht den Mund, und er steckt mir die Zunge zwischen die Zähne. Und es fühlt sich an wie eine Zunge zwischen den Zähnen. Nicht wie etwas, dem ich mich hingeben könnte. Es löst nichts in mir aus. Ich kann Cognac schmecken und den schwachen Nachgeschmack von Zitronentarte. Ich fürchte, gleich muss ich würgen. Ich schiebe ihn weg.
»Sonia, ich habe keine Affäre, falls du das glaubst. Das ist nicht der Grund für die vielen Vorlesungen. Versprochen.«
»Schon gut«, sage ich. »Das habe ich auch nicht angenommen.«
»Manchmal habe ich das Gefühl, du willst mich nicht bei dir haben.«
»So ein Unsinn!«, widerspreche ich. »Wie kommst du denn darauf?«
»Na ja, sieh uns doch mal an. Wir haben seit drei Monaten nicht miteinander geschlafen. Ich meine richtig miteinander geschlafen, nicht nur das Bett geteilt.«
»Gevögelt, meinst du.«
»Schön, wenn du es so nennen willst. Ich würde ›lieben‹ vorziehen.«
»Ich will nur klarstellen, worum es hier geht.«
»Na gut. Es geht um Sex, Sonia. Drei Monate. Und davor, wie lange war das? Sechs? Acht?«
»Ja, aber wir sind nun mal kein Paar, das es in jedem wachen Moment treibt. Waren wir nie. Es hat sich nichts verändert, Greg. In unserer Ehe gibt es keine große Leidenschaft.«
»Von deiner Seite aus nicht, nein.«
»Was?«
»Ich meine, ich habe es ja versucht. Ich möchte, dass wir … öfter Sex haben als jetzt. Ich finde dich noch begehrenswert, Sonia.«
»Was soll das denn heißen? Noch? Dass ich mit vierundvierzig darüber hinaus sein sollte?«
»Okay, okay. Tut mir leid. Ich hätte nicht noch sagen sollen. Ich habe damit nur gemeint, dass wir schon lange zusammen sind. Ich weiß, dass wir schwierige Phasen hatten, aber ich dachte, es wäre wieder besser geworden, seit Kit erwachsen ist. Ich bin dich noch nicht leid. Manche Ehemänner … Gott, Sonia, manche Männer haben die Schnauze so voll von ihren Frauen und haben an allen Ecken und Enden Affären. Aber so etwas mache ich nicht. Du bist die Einzige für mich. Warst du immer. Wirst du immer sein. Deshalb will ich auch umziehen. Damit wir öfter zusammen sind. In einem Haus, das uns gehört und nicht immer noch deinen Eltern. Kannst du nicht mal darüber nachdenken, Sonia? Stell es dir vor. Genf. Saubere Luft. Berge.«
Warum gibt er nicht auf?
»Kommst du mit ins Bett?«
Später in der Nacht wecken mich Visionen von einem abgemagerten Jez, die Haut gelblich und welk. Es stinkt nach fauligem Kohl, Fliegen und Läuse kriechen über ihn und fressen seine früher makellose Haut. Ich muss aufstehen und Greg als zufriedenen, postkoital schnarchenden Berg unter der Bettdecke allein lassen. Ich ziehe meinen Kimono über und will gerade die Treppe zum Musikzimmer hinaufgehen, als mir siedend heiß einfällt, dass er nicht dort ist. Stattdessen gehe ich nach unten. Ich streife mir meinen langen Wollmantel über das Nachtzeug und ziehe meine Stiefel an. Dann drücke ich die Klinke der Haustür herunter und schlüpfe leise hinaus in die Nacht.
K APITEL F ÜNFZEHN
Donnerstagnacht
Sonia
Er starrt mich mit aufgerissenen Augen an. Und sagt kein Wort.
»Anders kannst du mir nicht zeigen, dass es dir nicht passt, hier zu sein?«, frage ich. Er gibt keine Antwort.
»Ich habe dich nicht gerne hierhergebracht, glaub mir. Aber es sind Leute im Flusshaus, die es nicht gut finden würden, wenn du dort bist. Ich musste dich verstecken, das ist nur zu deinem Besten.«
Ich habe eine Kerze angezündet und betrachte Jez in ihrem flackernden Licht. Ich bin bestürzt. Etwas hat sich verändert. Jez’ Gesicht wirkt blass und käsig, wie in meinem Traum. Seine Haut ist leicht klamm. Wut durchfährt mich, und ich bin nicht einmal sicher, wem sie gilt. Jez, weil er seine Vitalität verloren hat? Greg, weil er zurückgekommen ist und mich hierzu gezwungen hat? Oder jemand – etwas – anderem?
Ich setze mich auf das Bett, schenke Jez Wasser ein und biete es ihm an, doch er dreht den Kopf weg und will nicht trinken. Das ist das erste Mal seit Sonntag, dass
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