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Ich bin alt und brauche das Geld

Ich bin alt und brauche das Geld

Titel: Ich bin alt und brauche das Geld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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Bübchen auf den Baum, steigt so hoch, man sieht es kaum«, intonierte ich einen Reim, begleitet von Paula, die alle Verse auswendig konnte. »Hüpft von Ast zu Ästchen, steigt ins Vogelnestchen …«
    Die Kinder machten eifrig mit. Ich betrachtete ihre unschuldsvollen Mienen, und wieder ging mir durch den Kopf, dass mein Leben sich so völlig anders entwickelt hatte als ursprünglich gedacht. Mit zwanzig hatte ich mir vorgestellt, bald zu heiraten und zwei Kinder zu kriegen. Mit dreißig hatte ich eine pflegebedürftige Mutter und ab und zu Kurzzeitbeziehungen, die unterm Strich mehr Frust als Freude brachten. Mit vierzig war ich kein Stück weiter gewesen, nichts hatte sich geändert, abgesehen davon, dass meine Mutter nicht mehr lebte und die Männergeschichten seltener wurden. Das Zeitfenster für eine Familiengründung hatte sich irgendwann unbemerkt geschlossen. Und jetzt, wieder zehn Jahre später, saß ich auf einer Wartebank im Gericht und zerbrach mir den Kopf über Dinge, die ich nicht mehr ändern konnte.
    »Mein Häuschen ist nicht ganz gerade. Das ist aber schade! Mein Häuschen ist ein bisschen krumm. Das ist aber dumm! Bläst ein scharfer Wind hinein, fällt das gaaanze Häuschen ein …«
    Die Tür von dem Amtszimmer öffnete sich, und Jennifer kam heraus. Sie war noch blasser als vorher. Ohne mich oder die Kinder anzusehen, ließ sie sich auf die Bank sinken.
    »Es ist alles weg«, sagte sie tonlos. »Dieser Typ da drin hat gerade in einer anderen Gerichtsabteilung angerufen, und da haben sie ihm gesagt, dass mein Vater eine eidesstattliche Versicherung abgeben sollte.«
    Ich überlegte, was sie damit meinte, und dann fiel mir ein, dass das nur ein anderer Ausdruck für einen Offenbarungseid war.
    »Alle seine Konten sind bis zum Anschlag in den Miesen. Gegen ihn laufen mehrere Vollstreckungsbescheide. Das Gericht hat sogar schon einen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt, weil er nicht zu dem Termin für die eidesstattliche Versicherung erschienen war. Sie hätten ihn verhaftet, wenn er nicht vorher gestorben wäre.« Jennifer lachte schrill auf, es klang hysterisch. Nun sah sie mich an, einen verzweifelten Ausdruck im Gesicht. »Das Geld für das Haus hätten wir so gut brauchen können! Jetzt sieht es so aus, als hätte ich bloß einen Riesenhaufen Schulden geerbt. Und dabei ist das Darlehen, mit dem er bei dir in der Kreide stand, noch nicht mal mitgerechnet.«
    »Die Schulden deines Vaters musst du nicht bezahlen«, erklärte ich ihr. »Du kannst das Erbe ausschlagen.«
    »Ich weiß. Das hat der Typ vorhin auch gesagt. Aber er meinte auch, ich hätte dafür sechs Wochen Zeit, denn theoretisch könnte doch noch irgendwo was sein.«
    »Vielleicht hat er recht«, stimmte ich zu, einen Hauch von Optimismus in meine Stimme legend.
    »Klar. Und vielleicht gibt es den Osterhasen.« Mit einem raschen Blick auf die Kinder korrigierte sie sich: »Den gibt es auf alle Fälle. Gott sei Dank, denn auf irgendwas im Leben muss man sich ja verlassen können.«
    Sie stand abrupt auf. »Kommt, Kinder. Wir gehen.«
    »Ich will noch mit Ssarlotte spielen«, widersprach Mäxchen.
    »Ein andermal. Mama muss sich hinlegen, und dann muss sie mit Papa telefonieren.« Sie nahm die Kinder bei der Hand und schaute auf mich herunter. »Sorry, dass ich so unfreundlich zu dir war. Anscheinend bist du bei der ganzen Sache am meisten gelinkt worden. Tut mir echt leid.«
    Ja, mir tat es auch leid. Aber sie tat mir ebenfalls leid. Sogar sehr. Ich war nur für mich allein verantwortlich und musste für niemanden sorgen. Sie hatte zwei – bald drei – kleine Kinder und noch ihre ganze Zukunft vor sich.
    »Wiedersehen«, sagte sie.
    »Wiedersehen«, antwortete ich. »Und alles Gute. Für die Geburt. Und die Kinder. Und überhaupt.«
    Sie nickte kurz, dann ging sie mit den Kindern an der Hand und Olga im Schlepptau davon, eine lila Kugel auf schlanken Beinen und mit durchgebogenem Rücken.
    Ich sah ihr nach und hatte dabei das seltsame, aber untrügliche Gefühl, dass wir uns noch wiedersehen würden.

Kapitel 3
    I n der Woche darauf konnte ich meine neue Wohnung beziehen. Die erste Monatsmiete und die Kaution hatte ich der Hausverwaltung schon überwiesen und verabredete mich am ersten August mit dem Möchtegernmakler Lars Liebermann für die Schlüsselübergabe. Wir trafen uns wieder vor dem Haus. Auf seine Frage, ob ich das Geld für seine Provision dabeihätte, eröffnete ich ihm, dass er keine kriegen würde, da ich mittlerweile

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