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Ich bin alt und brauche das Geld

Ich bin alt und brauche das Geld

Titel: Ich bin alt und brauche das Geld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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Sie machte ein sorgenvolles Gesicht und zählte an den Fingern auf: »Meine beste Freundin ist mit ihrer Familie in Urlaub. Meine zweitbeste auch. Die drittbeste liegt frisch entbunden mit Kaiserschnitt in der Klinik. Die viertbeste macht gerade eine wahnsinnig schwere Scheidung durch. Und die fünft- und sechstbeste haben die Windpocken. Also nicht sie selber, sondern ihre Kinder. Und darauf kann ich momentan echt verzichten, denn meine zwei hatten sie noch nicht. Sie würden sich sofort anstecken und könnten dann das Baby infizieren, sobald es auf die Welt kommt.« Bedauernd schloss sie: »Du siehst also, es ist wie verhext. Da hatte Paulinchen die super Idee, dass wir dich fragen. Du hast ihr im Gericht erzählt, dass du gerade in eine Dreizimmerwohnung ziehst.« Sie blickte sich um. »Ganz nett hier. Nicht groß, aber völlig ausreichend für die paar Tage.«
    »A … aber …«, stotterte ich.
    »Natürlich hätte ich normalerweise meine Verwandtschaft eingespannt«, fuhr Jennifer fort, ohne auf mein Gestammel zu achten. »Aber es gibt leider bloß eine Cousine dritten Grades in Südafrika. Meine Mutter lebt nicht mehr, mein Vater auch nicht. Bleibst also nur du.«
    »Was?«, fragte ich erschrocken. »Ich meine: Für was bleibe ich?
    »Fürs Kinderhüten.«
    Olga kam mit zwei riesigen aufeinandergestapelten Spielzeugkisten durch die offene Wohnungstür getaumelt. »Einmal muss ich noch.« Schnaufend setzte sie die Kisten ab und verschwand wieder in Richtung Treppe.
    »Sie wäre schneller, wenn sie nicht immer auf diesen Mörder-Stilettos rumlaufen müsste«, meinte Jennifer seufzend. »Aber bei dem Thema Schuhe redest du gegen Wände. Dafür ist sie wirklich lieb und anhänglich. Und überhaupt nicht anspruchsvoll.«
    Ich legte mir die Fingerspitzen an die Schläfen. »Sekunde mal. Bedeutet das, du willst die Kinder hierlassen? Bei mir?«
    »Olga natürlich auch«, sagte Jennifer. »Dadurch hast du praktisch überhaupt keine Arbeit, denn sie kümmert sich ja um die Kinder. Und mit der Übernachtung gibt es auch keine Umstände. Wir haben zwei Luftbetten dabei, eins für Paulinchen, eins für Olga. Und Mäxchen hat das Reisebett. Kann man tagsüber alles ganz platzsparend in einer kleinen Ecke verstauen. Auch sonst haben wir alles mitgebracht, inklusive Aufsatz fürs Klo. Sogar Lebensmittel fürs Wochenende. Ich war eben noch einkaufen.«
    »Warte«, sagte ich, um Haltung bemüht. »Was genau hast du vor?« Eine weitere Schreckensvision brach sich Bahn. »Musst du ins Krankenhaus? Gibt es Probleme mit dem Baby?«
    Als sie den Kopf schüttelte, war ich erleichtert, aber nur für einen Augenblick, denn dann meinte sie: »Ich will für ein, zwei Tage nach London, zu meinem Mann.«
    Ich wusste, dass er dort war, Paulinchen hatte mir davon erzählt, als wir gemeinsam auf dem Gerichtsflur gewartet hatten. Doch die näheren Hintergründe kannte ich nicht, abgesehen davon, dass er sich beruflich dort aufhielt. »Papa hat eine ganz wichtige Arbeit da«, hatte die Kleine berichtet, aber welche genau, hatte sie nicht sagen können.
    Olga kam mit weiteren Kisten in die Wohnung, sie ging gleich damit in die Küche, also waren das vermutlich die Essensvorräte.
    »Jennifer«, sagte ich mit wachsender Panik. »Du kannst doch nicht einfach … Ich meine, wir kennen uns doch kaum, und die Kinder … sie brauchen eine Vertrauensperson … jemand Nahestehenden …«
    »Sie mögen dich und sind absolut begeistert von dir. Sie reden seit Tagen bloß über dich. Wie super du mit ihnen spielen kannst. Wie lieb und wie toll du bist. Außerdem ist doch Olga da.«
    Sie wollte noch mehr sagen, aber ich schnitt ihr das Wort ab. »Warum musst du überhaupt ausgerechnet jetzt nach London?«
    »Es geht nicht anders. Mein Mann ist …« Jennifer stockte, dann sprudelte sie hervor: »Es steht furchtbar um ihn. Er hat eine … Identitätskrise.«
    »Hat es mit seiner Arbeit zu tun?«
    Jennifer nickte. »Ich mache mir große Sorgen.« Sie holte tief Luft. »Wenn ich nicht sofort zu ihm fliege, befürchte ich das Schlimmste. Deshalb überfalle ich dich quasi damit, für irgendwelche Planungen ist keine Zeit mehr. Ich muss ganz kurzfristig hin. Von jetzt auf gleich.« Sie sprach mit großem Ernst, und ich erschauderte unwillkürlich, als ich die Verzweiflung in ihrem Blick sah.
    Olga kam ins Wohnzimmer; sie hatte ihre hochhackigen Pumps ausgezogen und war mit einem Mal deutlich kleiner. Stirnrunzelnd sah sie sich in dem Umzugs- und Kartonage-Chaos

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