Ich bin alt und brauche das Geld
durch den Kopf, während ich mich krampfhaft bemühte, nicht in Tränen auszubrechen. Irgendwann war ich mit Reden fertig – hinterher wusste ich nicht mehr genau, was ich da alles von mir gegeben hatte, aber so viel hatte ich nicht mal Doro darüber erzählt – und ließ den Kopf hängen. Am liebsten wäre ich nach oben gerannt und hätte mich da verkrochen, um bloß niemanden mehr sehen oder hören zu müssen. Vor allem nicht Adrian, vor dem ich gerade mein komplettes Trennungsdrama ausgebreitet hatte, inklusive aller emotionalen und sonstigen Niederlagen. Nicht mal die vielen schwarzen Witwen auf dem Friedhof hatte ich ausgelassen.
Hinterher fühlte ich mich eigentümlich – auf der einen Seite irgendwie erleichtert, als wäre eine schwere Last von mir abgefallen, und auf der anderen schämte ich mich für diesen emotionalen Aussetzer, der höchstens gegenüber guten Freunden akzeptabel gewesen wäre. Aber Adrian war ja nicht mal ein guter Bekannter. Nur mein Nachbar, der mir zufällig beim Kinderhüten und Renovieren half und dem die Wohnung gehörte, in der ich lebte.
Verstohlen sah ich ihn an, ein bisschen ängstlich, was er jetzt wohl von mir denken mochte. Ob er meine Erlebnisse in einschlägige Kategorien einordnete? Sie der hysterischen Torschlusspanik der Wechseljahre zuschrieb? Oder eher der Naivität blinder Liebe?
»Worüber denkst du gerade nach?«, wollte Adrian wissen. Seine Miene war unergründlich.
»Ich frage mich, was du gerade denkst.«
»Ich denke, dass du eine ziemlich beschissene Zeit hattest. Solche Zeiten hat wahrscheinlich jeder im Leben, auf die eine oder andere Weise. Außerdem denke ich, dass du sehr mutig bist.«
»Mutig?« Ich war überrascht. »Etwa, weil ich es dir erzählt habe?«
»Das auch. Aber in erster Linie deshalb, weil du dein Leben auf bemerkenswerte Weise in die Hand genommen hast. Du bist keine Frau, mit der man Mitleid haben muss.«
Ich lachte auf, es klang leicht verzweifelt. »Du hast mich nicht auf Doros Sofa herumliegen sehen.«
»Oh, du meinst diese Ich-bin-zu-fertig-zum-Aufstehen -Phase, oder? Die Zeiten des Verkriechens und Wundenleckens. Frag mich mal, wie viele ich schon von der Sorte hatte.«
»Wirklich? Davon merkt man dir aber nichts an.«
»Dir auch nicht. Falls du deswegen Sorge gehabt haben solltest.«
»Wann hattest du zuletzt so einen Durchhänger? Und warum? Und wie hast du es geschafft, da wieder rauszukommen?«
»Dazu müsste ich ein bisschen ausholen. Was hältst du von einem gemeinsamen Abendessen? Und zwar in einem Restaurant, wo wir in Ruhe reden können. Wie wäre es mit Samstag? Ich kenne da einen fabelhaften Italiener.«
Vor uns erhob sich markerschütterndes Geschrei. Tabish – oder Ayaan – hatte mit dem Bollerwagen den Kaffeetisch-Pappkarton umgefahren. Das Puppengeschirr flog nach allen Seiten. Die Jungs lachten begeistert, die Mädchen hoben die Tellerchen und Tässchen auf und fingen an, die Übeltäter damit zu bewerfen.
Adrian und ich trennten die verfeindeten Parteien und sammelten die überall verstreuten Teile von dem Puppenservice wieder ein.
»Wie wäre es um acht?«, fragte Adrian, als hätte es keine Gesprächspause gegeben.
»Acht Uhr passt gut«, sagte ich ein bisschen atemlos. »Falls Olga nicht wieder ihren freien Abend hat.«
*
Olga behauptete, sie hätte samstags immer frei, vor allem abends. Als ich Doro davon erzählte, meinte sie – ähnlich wie Adrian –, es sei höchste Zeit, dass ich endlich mal ein Machtwort sprach und mir nicht immer von allen Leuten auf der Nase rumtanzen ließ.
»Ich kann ihr ja schlecht das Gegenteil beweisen«, sagte ich. »Was ist, wenn es stimmt? Am Ende kriege ich noch Ärger mit der Aupair-Behörde, wegen unzulässiger Überschreitung von festgelegten Arbeits- und Anwesenheitszeiten.«
»Es gibt keine Aupair-Behörde. Wer hat dir das denn schon wieder eingeredet?«
»Olga«, räumte ich ein.
»Manchmal bist du ein echtes Schaf, Charlotte. Aber mach dir mal keinen Kopf. Ich habe Samstagabend auf jeden Fall Zeit, also komme ich zu dir und passe auf die Kinder auf.«
Damit war wenigstens dieses Problem gelöst. Trotzdem nahm ich mir vor, ein Grundsatzgespräch mit Olga zu führen. Welches ich damit einleitete, dass ich ihren Ausweis sehen wollte. Sie erklärte, den habe sie im Haus von Mark und Jennifer gelassen, denn wozu das Ding mit sich herumschleppen, wenn man es nicht gerade zum Verreisen brauchte? Einen Führerschein hatte sie auch nicht dabei, warum auch,
Weitere Kostenlose Bücher