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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
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die Gänse noch da.«
    Mattie trat näher an das Wasser heran. »Gehen sie niemals weg?«
    »Nein. Sie waren hier, als ich noch ein Junge war, und sie werden noch hier sein, lange nachdem ich zu Sand geworden bin.«
    »Wie … tief ist das Wasser?«
    »Nur Tuthmosis und seine Sklaven wissen das. Aber er ist tief. Sehr tief. Einige Leute glauben, dass die Toten aus seinen Wassern steigen, spät in der Nacht, und in ihren goldenen Booten von einer Seite zur anderen fahren.«
    Mattie trat einen Schritt näher an ihren Vater heran. »Darf ich Sie etwas fragen, Mr Rashidi?«
    »Fragen Sie, was immer Sie wollen, Miss Mattie. Meine Ohren warten auf Ihre Stimme.«
    »Möchten Sie auf der Westseite des Nils beerdigt werden?«
    Rashidi kratzte sich mit zitternden Fingern das Kinn. »Wenn ich nicht länger arbeiten kann, wenn ich müde bin, dann werde ich nach Westen gehen, weg vom Fluss. Ich werde in die Wüste gehen, weit hinein in die Wüste. Und abends mache ich ein kleines Feuer und sehe mir dieselben Sterne an, die die Pharaonen sahen. Und dann, am nächsten Tag, wird die Hitze mich wegtragen.«
    »Aber … aber was ist mit Ihren Kindern? Wollen Sie sich von ihnen denn nicht verabschieden?«
    »Ich habe keine Kinder, Miss Mattie. Also werde ich mich von Karnak verabschieden, und dann werde ich versuchen, meinen Gott zu finden. Niemand wird sich an mich erinnern müssen. Keine Tränen werden fließen.«
    Mattie betrachtete den alten Mann, der vor ihr stand. Obwohl er lächelte, tat er ihr leid. »Ich werde mich an Sie erinnern«, sagte sie und nickte, blickte in seine dunklen Augen. »Ich werde mich daran erinnern, was Sie mir über die Königin und die Gänse erzählt haben.«
    »Sie sind sehr gütig, Miss Mattie.«
    »Ich werde an Sie denken … wenn Sie in der Wüste sind.«
    Rashidis Lächeln wurde breiter. Er beugte sich vor, und seine Robe schleifte über den Boden. Er griff in seine Tasche, zog einen Steinkäfer heraus und hielt ihn Mattie hin. »Der Skarabäus wird in Ägypten sehr verehrt«, sagte er und kniete beinahe vor ihr. »Der Käfer kommt aus der Erde, aus einem Haufen Dung. Er wird geboren, und er lebt in der Wüste. Er kommt aus dem Nichts, und er stirbt, aber er kehrt immer wieder zurück, wie die Sonne.«
    Als er ihr bedeutete, ihn in die Hand zu nehmen, tat sie es, überrascht darüber, wie schwer er war. »Er ist wunderschön.«
    »Bitte, behalten Sie ihn, Miss Mattie. Jetzt haben Sie noch etwas, das Sie auch an mich erinnert. Und wenn ich in der Wüste bin, werde ich daran denken, dass Sie ihn festhalten. Und dieser Gedanken wird mir Frieden bringen; möge Gott Sie beschützen und bewahren.«
***
    Nachdem sie drei Tage auf dem Nil verbracht und eine atemberaubende Anzahl von Tempeln und Monumenten am Ufer gesehen hatten, beendeten Ian und Mattie ihre Schiffsreise und nahmen ein kleines Flugzeug in den Ferienort Sharm el-Sheikh am Roten Meer. Auf viele Arten erinnerte Sharm el-Sheikh an eine Oase – materialisierte sich im Herzen der Wüste, umgeben von Palmen am Rand des riesigen Roten Meeres. Die Stadt bestand aus internationalen Hotels, Tauchschulen, Casinos, Läden und Märkten. Am Ende des Betons – wo die Wüste begann – hielten bunte Beduinenzelte die Sonne ab. Kamele und verhüllte Gestalten standen in der Nähe der Zelte, und Hufe und Füße bewegten sich hin und her über den heißen Sand. Mehrere Kilometer in der Ferne erhoben sich kahle Berge und versuchten, den Bauch des Himmels zu berühren.
    Das Rote Meer war nicht rot, sondern tiefblau. Es wurde schon seit Tausenden von Jahren befahren, und Ägypter, Perser, Römer und Chinesen hatten die Wasserstraße als Handelsroute zwischen Afrika und Asien benutzt. Moses hatte das Rote Meer angeblich geteilt, damit die Israeliten vor der ägyptischen Armee fliehen konnten. Napoleon hatte vergeblich versucht, das Rote Meer unter seine Kontrolle zu bringen. Obwohl der Seeweg in jüngster Zeit einiges von seiner strategischen Wichtigkeit eingebüßt hatte, war es immer noch eine Hauptschiffsroute.
    Ian las aus einem Reiseführer vor und hatte Mattie die Geschichte des Roten Meeres erzählt. Jetzt, während sie auf Strandstühlen aus Plastik in der Nähe des Wassers saßen, konnte Mattie kaum glauben, dass Männer wie Moses und Napoleon das alles auch gesehen hatten. Der Ort wirkte jetzt so modern – voller Geschäftsleute, die an Laptops arbeiteten, und Touristen, die tauchen gingen oder Paragliding machten. Ihr vierstöckiges Hotel war weiß,

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