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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
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Jahren, Karnak zu vollenden. Wussten Sie, Miss Mattie, dass einst einundachtzigtausend Sklaven hier arbeiteten? Denken Sie nur an diese Zahl.« Er hielt inne und sein Lächeln enthüllte schiefe und fleckige Zähne. »Sie waren Sklaven, und sie wurden geschlagen. Aber Leute kommen aus allen Teilen der Welt her, um zu sehen, was sie geschaffen haben. Die Leute wollen nicht sehen, was die Reichen gebaut haben, mit ihren Worten. Die Leute wollen sehen, was die Ärmsten der Armen gebaut haben, mit ihren Händen.«
    »Oh«, sagte sie und dachte an Rupi, dass er im Grunde nicht viel anders war als die Sklaven, die Karnak gebaut hatten. Plötzlich kam sie sich dumm vor, weil sie auf dem Schiff geweint hatte, weil sie vor ihrem Vater weggelaufen war. Zumindest wurde sie geliebt. Sie musste nicht in dreckigem Wasser schwimmen und nach Goldzähnen suchen. Sie war niemals eine Sklavin gewesen, und sie würde es niemals sein.
    »Möchten Sie gerne, Miss Mattie, dass ich Ihnen alles zeige?«
    Mattie kehrte mit ihren Gedanken in die Gegenwart zurück und blickte von dem Ägypter zu ihrem Vater. »Wie … wie viel wird das kosten?«, fragte sie, weil sie wusste, dass Holly von ihr erwarten würde, dass sie handelte.
    »Was immer Sie mir geben wollen. Ich bin so alt wie der Sand, und Geld ist einem alten Mann wenig wert.«
    »Wohin sollen wir gehen?«
    Rashidi richtete sich auf. »Kommen Sie. Ich möchte Ihnen etwas zeigen. Und Ihnen auch, Mr Ian.«
    Ian dankte Rashidi und folgte Mattie, froh darüber, dass sie selbstbewusst genug war, mit einem Fremden zu reden, der einen Turban trug.
    Während sie gingen, beugte Rashidi sich näher zu Mattie hinüber. »Wissen Sie, was ›Karnak‹ bedeutet?«
    »Nein.«
    »Es bedeutet ›Der perfekteste aller Orte‹.«
    »Wirklich?«
    »Warten Sie nur, Miss Mattie. Warten Sie nur ab.«
    Sie gingen um eine Ecke und an Statuen von Männern und Tieren vorbei. »Wie viele Statuen gibt es hier?«, fragte Mattie und griff nach der Hand ihres Vaters.
    Rashidi drehte sich um und kniff die Augen zusammen. Seine weißen Augenbrauen waren lang und zerzaust. »Wie viele Statuen?, fragen Sie. Ich weiß es nicht, Miss Mattie. Vielleicht zehntausend? Die Pharaonen liebten ihre Statuen. Sie machten welche von ihren Lieblingsgöttern und von sich selbst.« Rashidi bog in einen schmalen, dachlosen Gang voller Hieroglyphen, die Kriegsarmeen zeigten. Auf der anderen Seite des Ganges lag ein umgekippter Obelisk. »Ich bin sicher, Miss Mattie, dass Ihnen das hier gefallen wird.«
    Mattie blickte auf den Obelisken, der fast gar nicht beschädigt war, trotz des tiefen Falls. »Was bedeutet es?«
    »Vor mehr als dreitausend Jahren wurde Ägypten von Königin Hatschepsut regiert, die diesen Obelisken bauen ließ und den anderen, der immer noch steht. Sie regierte mehr als zwanzig Jahre lang und war eine unserer mächtigsten Pharaonen. Sie baute zahlreiche Tempel, pflanzte große Wälder und machte Ägypten durch Handel reich.«
    Ian sah Mattie nicken. »Ich glaube, Schatz«, sagte er, »dass du ihren Obelisken zeichnen solltest.«
    »Welchen?«
    »Welchen denkst du?«
    »Den stehenden.«
    »Dann setzen wir uns darunter in den Schatten, und du kannst etwas aufs Papier zaubern.«
    Rashidi trat näher. »Sie können das zeichnen?«
    »Sie ist sehr gut«, erwiderte Ian. »Königin Hatschepsut hätte viel Arbeit für sie gehabt.«
    Der Ägypter lächelte. »Königin Hatschepsut hätte eine Statue von ihr anfertigen lassen, um ihre Talente der Welt zu zeigen.«
    Mattie blickte zum Obelisken hinüber und sah etwas Blaues. »Was ist das?«
    »Sie sehen den Heiligen See«, erklärte Rashidi und keuchte etwas, während er weiterging und mit seinem Spazierstock Staub aufwirbelte. »Kommen Sie, ich will es Ihnen zeigen.«
    Der See, wie Mattie bald sah, war rechteckig und von Sandsteinen eingefasst. An mehreren Orten führten Treppen zum Wasser hinunter. Es war indigofarben, und ein Gänseschwarm schwamm darauf. In der Nähe einer Ecke des Sees wiegte sich eine Gruppe von gedrungenen Palmen im sanften Wind.
    »Tuthmosis der Dritte baute diesen See«, sagte Rashidi und seine Augenbrauen bewegten sich genauso wie sein Mund und seine dunklen Augen. »Priester benutzten das Wasser für Rituale und zogen sich wie Götter an und fuhren mit goldenen Booten darüber. Außerdem, Miss Mattie, ließen die Priester jeden Morgen bei Sonnenaufgang eine Gans auf den See. Sie taten es, um den Gott Amun gnädig zu stimmen. Wie Sie sehen können, sind

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